: Freistaatlicher Missionseifer
■ Klage gegen Kruzifixe in Bayerns Schulen abgelehnt
Es war zu erwarten, daß die Münchner Verfassungsrichter das bayerische Kruzifixgesetz billigen und die Klagen der Grünen, eines Vaters und des Bundes für Geistesfreiheit abweisen würden. Die christsoziale Korrektur am Spruch der Karlsruher Bundesverfassungsrichter verstoße nicht gegen das Gebot der staatlichen Neutralität in religiösen Fragen, so das Urteil. Das überrascht schon deshalb nicht, weil im Freistaat katholische Symbole für so selbstverständlich, ja gottgegeben gehalten werden wie früher in der DDR das Standardbild des huldvollen Erich H. in allen Amtsstuben.
Doch bei allem Verständnis für regionale Besonderheiten haben die bayerischen Verfassungsrichter doch (politisch gewollt?) nicht nachvollzogen, daß das Grundgesetz eine Trennung von Staat und Religion fordert – was in Ländern wie Frankreich, Dänemark oder Großbritannien bis in den Klerus hinein respektiert wird. In nicht konfessionellen Schulen haben Religionssymbole nichts verloren, wenn nur ein einziger (schulpflichtiger) Schüler darauf beharrt, daß er es während des Unterrichts nicht anschauen möchte.
Der Hinweis der bayerischen Verfassungsinterpreten, daß Schüler in ihrem Bundesland auf begründeten Antrag hin die Möglichkeit haben, das Kruzifix abhängen zu lassen, geht am Kern der Sache vorbei: Weshalb müssen Nichtgläubige begründen, daß sie nicht glauben und von Kultgegenständen nicht behelligt werden möchten?
Der Verweis auf die Gefühle der (in diesem Fall katholischen) Mehrheit deutet auf eine vordemokratische Denkweise hin. In liberalen Gesellschaften jedenfalls hat in Fragen der Lebensweise und der Moral die Mehrheit nicht das Recht, die Minderheit zu kujonieren. Insofern ist jede Haltung zu respektieren, die sich auf die weltanschauliche Freiheit beruft. Eine gottfreie Weltanschauung ist auch eine. Katholiken können glauben, woran sie wollen. Darauf zu beharren, ihre Ikonen auch in staatlichen Einrichtungen sichtbar machen zu wollen, grenzt indes an sektenhaften Eifer.
Darauf aufmerksam zu machen liegt nun am Karlsruher Bundesverfassungsgericht, das sich demnächst weiter mit dem Fall wird beschäftigen müssen: Schulen haben einen strikt weltlichen Lehrauftrag, keinen für eine religiöse Mission, aus welcher Richtung auch immer. Jan Feddersen
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