: Erpresser lieben Thomy-Tuben
Nach Drohbrief an Nestlé wurden in 50 Supermärkten Senf- und Mayonnaisetuben ausgewechselt. Bislang keine Gift-Produkte gefunden ■ Aus Berlin Robin Alexander
Mancher Mayo-
Fan in Dortmund
mußte gestern auf sein Lieblingsprodukt verzichten. In zahlreichen Rewe-Supermärkten fehlten in den Regalen Senftuben und Mayonnaisegläser. Denn der Lebensmittelhersteller Thomy, der erpreßt wird, schaffte es nicht, sämtliche Waren auszutauschen. Dies war nötig geworden, nachdem der Nestlé-Konzern, zu dem Thomy gehört, erneut einen Drohbrief erhalten hatte. Darin hatte es geheißen, in 50 Supermärkten in Berlin, Bremen, München und 11 anderen Großstädten befänden sich vergiftete Produkte. Allein in Dortmund seien 25 Filialen verschiedenster Supermarktketten betroffen, schrieben die unbekannten Erpresser. „Von unserer Seite ist alles Erdenkliche getan worden, um den Verbraucher zu schützen“, sagte ein Konzernsprecher. Die Polizei rät jedoch vom Verzehr aller Lebensmittel ab, die im August in Supermärkten gekauft wurden, wo auch Thomy-
Waren angeboten werden. Vorsichtige Verbraucher sollten nicht nur Senftuben in Supermärkten meiden. Auch andere Waren der Schweizer Firma Nestlé sind im Fadenkreuz der Giftmischer. 23 Nestlé-Produkte wurden ebenfalls manipuliert, behaupten die Erpresser. Von Nestlé hergestellt und unter verschiedenen Markennamen angeboten werden Schokolade, Kaffee, Tee und andere Produkte. Besonders perfide: Die vergifteten Süßigkeiten liegen laut Erpresser „an öffentlichen Orten“ wie U- Bahnhöfe oder Parkanlagen, und gefährden somit vor allem unvorsichtige Kinder.
Nestlé-Pressesprecher Albrecht Koch stöhnt: „Es ist wieder der Thomy-Erpresser.“ In der Tat ein alter Bekannter – auch für die zuständige Polizei aus Frankfurt am Main. Seit Anfang 1996 wird Thomy/Nestlé, zunächst unbemerkt von der Öffentlichkeit, von einem oder mehreren Ganoven erpreßt. Im August desselben Jahres findet die Polizei dann in mehreren Städten tatsächlich Gift, denn die Erpresser hatten Marken und Produkte präzise beschrieben. Thomy nimmt zeitweise einige Feinkostsaucen vom Markt. Im April 1997 melden sich die Erpresser erneut und vergiften in einem Plus-Markt in Regensburg Senf und Mayo mit Zyanid. Zu Schaden kommt niemand. Ärzte merken aber an, das Schädlingsbekämpfungsmittel könne zum Herzinfarkt führen, ohne daß dabei die Ursache erkannt werde. Jede neue Runde im Fordern-Ablehnen- Vergiften-Takt trifft Nestlé schwer. „Der Schaden ist noch nicht abzuschätzen“, erklärte ein Sprecher gestern. Allein der Austausch von Lebensmitteln im vergangenen April hat 30 Millionen Mark gekostet. Schmerzhafter aber ist der langfristige Imageschaden. Branchenkenner schätzen den Umsatz von Nestlé allein mit Senf und Mayonnaise auf annähernd 300 Millionen Mark jährlich.
„Etwa 130 Fälle von Erpressung gibt es jedes Jahr in Deutschland – Tendenz steigend“, erklärt die Geschäftsleitung der Control Risks, einer Beraterfirma für Sicherheit in der Wirtschaft. Betroffen sind vor allem die Hersteller von Genußmitteln, Babyprodukten und Kosmetika. Unternehmen der Nestlé-Gruppe scheinen es Erpressern besonders angetan zu haben. Gestern wurde in Konstanz der Prozeß gegen zwei Erpresser aus dem Raum Magdeburg eröffnet. Ein Ehepaar hatte im Frühjahr gedroht, „Maggi“-Produkte mit BSE-Erregern zu vergiften. Die hochverschuldeten Amateure wurden bei der Geldübergabe verhaftet. „In der Regel kommt es nicht zur Tatausübung“, so Control Risks. In den angelsächsischen Ländern sind Lebensmittelkonzerne gegen Erpressungen versichert. Solche Policen sind in Deutschland verboten.
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