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Vorlesen, nachhören etc.Luhmann im fünften Gang

■ Hörkassetten von Vorlesungen machen den Geist mobil. Vorbereitungen auf die Autobahnuniversität

Das Leben der Studenten ist mitunter von harter Geistesarbeit geprägt. Bei steigenden Temperaturen kann es allerdings passieren, daß dem Denkenden die systemtheoretische Luhmann-Welt schon einmal entwischt. Oder die Ästhetik-Reflexionen von Gernot Böhme und die in getragenem Pathos gehaltene Hermeneutik Gadamers. Nicht jeder Hörsaal scheint dazu geeignet, das geistige Fluidum zusammenzuhalten. Da kommt die Autobahnuniversität gerade recht. Die heißt deshalb so, weil sich die Gedanken des Gelehrten unterwegs rasch in den Rekorder schieben lassen. Der Gedanke ist denkbar einfach, reproduktionstechnisch beinahe schon überholt. Es handelt sich um Originalmitschnitte von Uni-Vorlesungen, die mit Einwilligung der jeweiligen Dozenten der Carl- Auer-Systeme Verlag vorgenommen hat.

Der Name ist Programm. Da kann man das Klatschen und Scharren hören, aber auch Unmutsgeräusche und Murren, alles eben, was eine Vorlesung ausmacht – die ganze Redundanz des Gesprochenen im Raum, allerhöchste Aurastufe. Die Vorteile der Autobahnuniversität liegen auf der Hand. Man kann die Worte des großen Vorsitzenden abdrehen und einlegen, wann immer man will. Die Vorlesung findet fortan in der Toskana statt, oder auch nicht.

Das ist nicht ohne philosophischen Reiz. Der Gedanke gewinnt eine neue Qualität, wenn er die spröde Universitätswelt verläßt und den Hintergrund der eigenen autopoetischen Gedankenwelt mit neuen, ungewohnten Assoziationen anreichert. Was man gemeinhin als Reflexion bezeichnet, ist ja nichts anderes, als fremde Gedanken in das eigene Assoziationsgewebe einzuspeisen und dem veränderten Klang der Symphonie zu lauschen. Die Symphonie des Systems folgt ja nicht nur dem rein logisch-metrischen Taktstock, sondern Emotion und Kognition bilden eine nicht trennbare Einheit. Nichts liegt also näher, als den Hörsaal zu verlassen und durch eine Anreicherung der emotionalen Anteile des Erkenntnissystems einen Kognitionsschub zu bewirken.

Philiosophie goes Habermas- Rap, oder das Denken entsteht aus dem Geist popmusikalischen Aufnahmetechniken. Die Hörkassette erinnert noch einmal an das Sechziger-Jahre-Fieber, als Popmusikalisten mit Mikrofonen vor den Radiogeräten saßen, und wehe, es betrat jemand mit lauten Schritten den Raum. Ein Wandel der Veranstaltung Vorlesung ist angezeigt. So könnte die Erkenntnistheorie des Konstruktivismus durch den musikalsischen Gedanken unterstrichen werden. Die Situation der elektromagnetischen Felder in unserem Gehirn ließe sich dann durchaus mit einem kleinen gelben Unterseeboot vergleichen, in dem wir alle leben.

Sollte es allerdings Schule machen, daß Vorlesungen wie Hörbücher ad libitum aus der Kassette kommen, die Sekundärliteratur aus dem Internet besorgt wird, dann sind wir der home- university schon beträchtlich nahe. Das Gemeinschaftserlebnis Hörsaal findet nunmehr im Elfenbeinturm des Private Idaho statt. Etwas nüchterner betrachtet sind die Kassetten schlicht gute Gedächtnisstützen. Holger von Dobeneck

Als Kassetten liegen u. a. vor: Niklas Luhmann: „Theorie der Gesellschaft“. 14 Kassetten im Schuber, 228 DM. Gernot Böhme: „Ethik“. 12 Kassetten im Schuber, 198 DM. Carl-Auer-Systeme Verlag, Weberstraße 2, 69120 Heidelberg

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