: Mit dem Rücken zur Kamera
■ Videofilm von gewalttätigem Polizeieinsatz gestern als Beweismittel im Prozeß gegen 16 Polizisten vorgeführt. Kronzeuge belastet einen Angeklagten
Mit einem rums! knallte der blutüberströmte Kopf des Skinheads gegen die Wand eines Bauwagens. Rums! machte es nochmals, als ihm ein Polizist zweimal die Faust ins Gesicht drosch. Die Szene stammt aus einem Videofilm, den ein Polizist für private Zwecke in der Silvesternacht 1993/94 vom nächtlichen Einsatz seiner Kollegen gedreht hatte. Der Film und die Aussage des Kronzeugen Christian M. sind Hauptbeweismittel der Staatsanwaltschaft im Prozeß gegen 16 Polizisten wegen Körperverletzung und Strafvereitelung.
Das Video wurde gestern im Kriminalgericht auf einer Großleinwand vorgeführt. Weil der Saal nicht abgedunkelt werden konnte, war über weite Strecken kaum etwas zu erkennen. Die meisten Szenen haben mit dem angeklagten Vorfall nichts zu tun. Sie zeigen die Beamten des ersten Zuges der Direktionshundertschaft 6 in Kampfanzügen bei einem Silvestergeplänkel auf dem Polizeiabschnitt, aus einem Kassettenrecorder röhrt Diskomusik.
Die entscheidende Szene ist nur sehr kurz: In einem Hauseingang geht es gegen Skinheads zur Sache. „Ey, gib mir deine Taschenlampe“, fordert die Stimme eines Polizisten. „Die brauche ich selber, zum Schlagen“, lautet die Antwort. Ein Skinhead wird im Hausflur von mehreren Polizisten umringt, ruckhafte Bewegungen lassen darauf schließen, das es rabiat zugeht. Später wird der Skinhead im Schwitzkasten abgeführt und an die Wand des Bauwagens gestoßen. Der Beamte, der ihm dort mehrfach ins Gesicht schlägt, steht mit dem Rücken zur Kamera. Die Kripo hatte 12 Stunden gebraucht, um diese Szene auf ihren strafbaren Inhalt hin auszuwerten. Die schlechte Bildqualität beschrieb ein als Zeuge gehörter Kripobeamter mit den Worten: „Wie Negerkampf im Tunnel.“ Der Kronzeuge Christian M., der der Kripo damals bei der Täteridentifizierung geholfen hatte, wurde gestern vom Gericht mit der Szene am Bauwagen konfrontiert. Der 23jährige Polizeimeister war sich sicher, daß es sich bei dem Schläger um den angeklagten 25jährigen Polizeimeister Matthias M. handelt. Jener ist vor Gericht der einzige, der zu dem Vorwurf nichts gesagt hat. Im Gegensatz zu seiner Vernehmung am vorherigen Gerichtstag wirkte der Kronzeuge sehr sicher. Danach trat der betroffene Skinhead, ein 25jähriger leitender Angestellter einer Baufirma, in den Zeugenstand. Er sagte, daß er sich nur an die Schläge im Hausflur erinnern könne. Welcher der Angeklagten es war, vermochte er nicht zu sagen, weil sich der Schläger damals gleich „nach hinten verzogen“ habe. Von einem Schlag mit einem Schlagstock hatte der Skinhead dabei eine 4 Zentimeter lange Platzwunde am Hinterkopf davongetragen. An die Fausthiebe am Bauwagen konnte er sich überhaupt nicht erinnern. „Da fehlt mir etwas“, wies der Mann darauf hin, daß er nach der gewalttätigen Polizeiaktion mit einem Rettungswagen der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Das Verfahren gegen den Skinhead wegen angeblichen Widerstandes ist inzwischen gegen eine Geldbuße eingestellt worden. Der Prozeß wird morgen fortgesetzt. plu
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