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■ Die PDS hat bei der Vergangenheitsaufarbeitung versagt. Was sie zum Krenz-Prozeß sagt, klingt wie SED-JargonFreispruch in eigener Sache

Die Aufarbeitung des DDR- Unrechts ist in der PDS gescheitert. In seiner Stellungnahme zum Politbüro-Prozeß argumentiert der PDS-Vorstand wie die SED. Er sei nicht gewillt, die Delegitimierung der DDR und die Negierung ihrer Rechtsordnung hinzunehmen. Da ist von Siegerjustiz, Verfolgungseifer, Provokation und Erniedrigung linker Antifaschisten, der Demütigung von Millionen DDR-Bürgern die Rede. Plötzlich tauchen die alten Abwehrfloskeln gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten wieder auf.

Demagogischer hätte es Karl- Eduard von Schnitzler nicht hinbekommen. Offenbar war der Ausschluß aus der PDS das Schlimmste, was Egon Krenz und Genossen passieren konnte. Doch ihre Vergehen fallen nicht allein in die Parteikategorie von Abweichung, Fehler und Irrtum. Sie waren und sind strafbar – auch wenn politische Motive vorlagen. Darin besteht die Bedeutung des Urteils. Es stellt die Menschenrechte über das Staatsrecht und diktatorische Verfügungen. Es hat Gerechtigkeit geschaffen, weil es nach den „Krenzsoldaten“ auch deren politische Auftraggeber verurteilt hat.

Heute ist die PDS schnell dabei, Menschenrechtsverletzungen in aller Welt zu ächten. Doch wenn es um frühere Kampfgefährten geht, stellt sie sich vor die Täter, ist ihr der Frieden in der Partei wichtiger als die Versöhnung mit der Gesellschaft. Sicher hätte die Anerkennung der Strafen die Fans von Egon Krenz verärgert, aber dafür die eigentliche Schlußdebatte ausgelöst. So ist das PDS-Plädoyer auf Freispruch nichts anderes als eine Entlastung in eigener Sache. Wer eine billige Trennung zwischen politisch-moralischer Verantwortung und juristischer Unschuld konstruiert, kann sich den Kranz für die Maueropfer sparen. Die Reformer in der PDS haben eine große Chance vertan, den Bruch mit der Vergangenheit zu belegen. Vor gut einem Jahr hat sich André Brie noch Luft gemacht über den Weg und Zustand seiner Partei, wollte keinen Rückfall dulden, die Auseinandersetzung vorantreiben. Wieviel wird er noch schlucken?

Der Politbüroprozeß war kein Prozeß gegen die DDR-Bevölkerung. Krenz stand nicht für ein System oder stellvertretend für alle SED-Mitglieder oder loyale Staatsbürger vor Gericht. Zwar hat er seine Position als Überzeugungstäter betont, aber weder seine sozialistische Überzeugung noch der Marxismus waren angeklagt. Nicht die Kapitalverbrechen: Freiheitsberaubung, Menschenhandel und Verfassungsbruch, nicht Wahlfälschung und Psychoterror wurden ihm zur Last gelegt, sondern Totschlag in mittelbarer Täterschaft. Bewiesen wurde sein persönlicher Anteil an vier von neunhundert Todesfällen am „antifaschistischen Schutzwall“.

Elektrozäune, Wachtürme, Minen und Todesschüsse waren keine zwangsläufigen Folgen des Zweiten Weltkrieges oder der Teilung Deutschlands, sondern Ausdruck für den Machterhalt der SED. Auch wer später ins Politbüro kam, hat die Bedingungen gekannt, akzeptiert, fortgesetzt und ideologisch gefestigt. Sicher hat die Sowjetunion Druck ausgeübt, daß die DDR-Bevölkerung nicht komplett in den Westen überläuft. Die Abschreckungsmaßnahmen gehen jedoch auf das Konto der SED- Führung. Es ist ein Widerspruch, angeblich keinen Einfluß auf das Grenzregime gehabt zu haben, aber die Öffnung als persönliche Leistung auszugeben.

Es mag bitter sein für Krenz und Schabowski, daß der frühere ungarische Außenminister Horn heute hohes Ansehen als Präsident genießt. Offensichtlich hat die Bevölkerung ein Gespür dafür, ob der Eiserne Vorhang mit Vorsatz oder aus Versehen geöffnet wurde. Wer streut, die Verurteilung von Egon Krenz würde alle früheren Parteimitglieder betreffen, weicht einer differenzierten Schuldermittlung durch breite Mithaftung aus und versucht alle als Komplizen einzuspannen. Noch übler ist der Vorwurf: westdeutsche Richter hätten einen DDR-Staatsmann verurteilt. Den PDS-Abgeordneten Heuer, Elm und Maleuda zufolge sogar das letzte Staatsoberhaupt überhaupt. Aufschlußreich, wo bei ihnen die DDR aufhört. Die kurze Phase Modrow/de Maizière fällt da nicht ins Gewicht. Doch genau die war entscheidend. Immerhin war der Ruf „keine Gewalt“ kein Freispruch für die Stasi und SED- Funktionäre, sonderen deren Schutz vor Lynchjustiz. Es war der Wille der frei gewählten Volkskammer, daß die aufgenommenen Strafverfahren von rechtsstaatlich qualifizierten Gerichten im vereinten Deutschland fortgesetzt und abgeschlossen werden. Das weiß auch der PDS-Vorstand. Aber es kümmert ihn nicht.

Solange die PDS die mentale Spaltung zwischen Ost und West ausweitet, wird sie nie im vereinten Deutschland ankommen. So zieht sie nicht nur Feinde der Einheit an, sie erzeugt auch welche. Zum Beispiel mit dem Schlagwort der „Siegerjustiz“. Zur Erinnerung: Die SED wurde vom Volk gestürzt, der real existierende Sozialismus ist an seinen inneren Spannungen implodiert. Skrupellos benutzt die PDS einen Begriff, den die Altnazis in der Nachkriegszeit aufbrachten, um die Rechtsprechung der Alliierten zu verunglimpfen. Mit ihr begann der Rechtsstaat, während er für Lothar Bisky mit der Inhaftierung von Egon Krenz aufhört. Er verschweigt dabei, daß die Gerichte der einzige Ort sind, an dem die Verantwortlichen von einst Rede und Antwort stehen müssen. Straffreien Veranstaltungen, wie dem „Forum von Vergangenheitsaufarbeitung“, haben sie sich nie gestellt. Die Ergebnisse von Ermittlungsverfahren zeigen in jedem Fall, daß die Wahrheitsfindung und nicht die Bestrafung dominiert. Die Gerichtsprotokolle sind für die historische Betrachtung der DDR ebenso wichtig wie die Akten der Gauck-Behörde und die Wälzer der Enquetekommission.

Das ist kein Übereifer der westdeutschen Justiz, die mit der Kommunistenhatz die Fehler der inkonsequenten NS-Verfolgung kompensieren will – wie die PDS behauptet. Keine späte Genugtuung, sondern Legendenvorbeugung. Ohne die juristische Aufarbeitung ist Jahrzehnte nach der „Auschwitzlüge“ womöglich die „Mauerlüge“ zu befürchten – einer vom kalten Krieg bedingten Graffitiwand.

Vielleicht findet sich im „Solidaritätskomitee für Egon Krenz“ doch noch ein Rest von Schuldbewußtsein. Jeder, der einen Monat für Egon absitzen will, sollte ihm besser einen Monat Gesellschaft leisten. Dann könnte endlich der Streit geführt werden, wie aus der sozialistischen Menschengemeinschaft eine GmbH – eine Genossenschaft mit beschädigter Heimat – geworden ist. Werner Schulz

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