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„Für ein Stückchen mehr Wohlbefinden“

■ 75 Jahre Saga: Wie Vorstand Willi Hoppenstedt Vandalismus und Jugendkriminalität einschränken und das kommunale Wohnungsunternehmen für WGs attraktiv machen will

taz: Ein Bericht über Wohnen in Hamburg kommt zu dem Schluß: „Die Angebote für Kinder und Jugendliche in Hamburgs Großwohnsiedlungen für eine sinnvolle und altersgerechte Freizeitgestaltung sind nicht ausreichend. Das Ergebnis: Vandalismus, Randale und Jugendkriminalität nehmen zu.“Stimmt der Haupt-Vermieter dieser Siedlungen dem zu?

Willi Hoppenstedt: Dazu müßte ich erstmal wissen, von wem das Zitat stammt.

Aus dem Geschäftsbericht zum 75. Geburtstag Ihres Unternehmens, veröffentlicht im August.

Wir sehen mit großer Sorge, daß die Zahl derer, die überhaupt noch Arbeitseinkommen beziehen, stetig sinkt. Als kommunales Wohnungsunternehmen haben wir den Auftrag, diejenigen mit Wohnraum zu versorgen, die sich selbst nicht helfen können. 30 Prozent unserer Mieter sind Sozialhilfeempfänger. Viele junge Erwachsene haben noch nie in ihrem Leben eine Beschäftigung gehabt.

Als Alternative fordert die Sozialarbeiterin Saga mehr Jugendeinrichtungen?

Es gibt einen großen Bedarf. Wir sehen das bei den Aktivitäten, die wir anbieten, beim Streetball oder Mitternachts-Basketball in Neuwiedenthal oder Steilshoop. Die Jugendlichen kommen zuhauf. Unser Ziel ist, daß sie sich über den Sport mit ihrem Stadtteil identifizieren.

Ein bißchen Sport und Gemeinschaft, und alles wird gut?

Uns ist klar, daß Streetball oder Jugendkeller nur kleine Mosaiksteine sein können. Die Saga wäre auch überfordert, wenn sie sich diesem Problem allein stellen müßte. Hier ist das soziale Engagement vieler vonnöten.

Sie fühlen sich von den sozialen Trägern im Stich gelassen?

Wir meinen feststellen zu können, daß soziale Einrichtungen sich ein Stück zurückziehen. Der Kampf um die rückläufigen finanziellen Mittel wird immer härter. Das führt dazu, daß statt Kooperation Abgrenzung stattfindet. Dieser Entwicklung müssen wir gemeinsam entgegentreten.

Seit Jahren ist die Problematik architektonisch trister Großwohnsiedlungen bekannt. Höchste Zeit für die Saga, ihre Belegungspolitik zu modernisieren?

Das tun wir, und der Belegungsvertrag mit der Stadt, der seit einem halben Monat in Kraft ist, wird uns helfen, in Großsiedlungen wieder normales Wohnen zu haben.

Wie geht das?

Wir können die Mieter ab jetzt in Eigenregie so auf unsere Wohnungsbestände verteilen, wie wir es für richtig halten. Bisher durften wir in vielen Wohnanlagen der 60er Jahre ausschließlich Dringlichkeitsschein-Inhaber unterbringen, was gelegentlich zu sozialen Spannungen führte. Durch Belegung kriegen Sie natürlich nicht den Alkoholismus weg.

Sondern?

Durch eine sozial stabile Nachbarschaft. Erste Erfolge der besseren sozialen Durchmischung haben wir bereits erzielt: Der Senat hat Mümmelmannsberg, Kirchdorf-Süd und Steilshoop schon vor Jahren von der Belegungsbindung freigestellt. Dadurch wurden neue Mieter mit höheren Einkommen, die eigentlich keinen Anspruch auf die Sozialwohnungen hatten, für diese Viertel gewonnen.

Ein Drittel der bundesdeutschen Haushalte ist sozialwohnungsberechtigt, aber nur ein Viertel davon kann entsprechend versorgt werden. Wenn Sie jetzt Sozialwohnungen für Besserverdienende öffnen, führt das zur künstlichen Verknappung des Angebots.

Nein. Indem wir an bestimmten Stellen die Bindung aufheben, verpflichten wir uns an anderer Stelle, Wohnberechtigungsschein-Inhaber zu versorgen. Auch dort, wo es freifinanzierte Wohnungen gibt, werden wir künftig ganz normale Dringlichkeitsschein-Inhaber unterbringen – zum Sozialmietpreis.

Sie versuchen, Fehlplanungen der Vergangenheit zu korrigieren. Welchen Sinn hat das, wenn zugleich in Neu-Allermöhe-West oder demnächst Neugraben-Fischbek die alten Fehler wiederholt werden? Müßten Sie als Wohnungsexperte die Stadt nicht vor neuen Wohnghettos auf der grünen Wiese warnen?

Ich glaube nicht, daß Neugraben-Fischbek die Bezeichnung Großwohnsiedlung verdient. Es gibt dort kleinere Baueinheiten, das ist architektonisch vernünftig. Wir haben eine S-Bahn-Haltestelle, auf der anderen Seite gibt es Einkaufszentren...

...und die Plattenbauten von Sandbek und Neuwiedenthal in direkter Nachbarschaft.

Wir müssen die Wohnbauflächen in dieser Stadt nutzen. In Sandbek und Neuwiedenthal sind Freizeiteinrichtungen vorhanden. Die müssen koordiniert und vor allem geöffnet werden. Was Allermöhe angeht, haben wir eine gute Situation, die Schule ist da...

...ja, seit diesem Schuljahr. Die Leute wohnen da aber schon seit zwei Jahren.

Nein, nein, die Hälfte der Wohnungen ist ja lange noch nicht fertig. Daß in Neu-Allermöhe-West gewisse Probleme da sind, ist unstrittig. Ein Stadtteil verträgt es nicht, wenn in einer Schulklasse plötzlich mehr als die Hälfte anders als Deutsch spricht. Ich würde aber nicht sagen, daß Neu-Allermöhe-West deswegen ein falsches Projekt ist. In 15 Jahren ist das ein ganz toller Stadtteil.

In den nächsten zehn Jahren werden mehr als die Hälfte der Hamburger Sozialwohnungen aus der Bindung fallen. Der Bundesbauminister möchte den sozialen Wohnungsbau ganz abschaffen, und die CDU fordert gar, Teile der Saga – ähnlich wie Berlin es mit seinen kommunalen Wohnungsunternehmen macht – zu verkaufen. Kommt nach 75 Jahren das Ende der Saga?

Nein. Wir sind unentbehrlich für diese Stadt. Ohne uns bekommt Hamburg noch größere Wohnungs- und Sozialprobleme. Berlin und Hamburg sind nicht vergleichbar. Berlin hat prozentual doppelt so viele kommunale Wohnungen wie Hamburg. Ein Drittel dieses Bestands soll verkauft werden. Das bedeutet, daß Berlin nach den Verkäufen absolut und prozentual immer noch mehr kommunale Wohnungen hätte als Hamburg.

Was das Auslaufen der öffentlichen Förderung angeht: Sozialer Wohnungsbau sollte keine ausschließliche Objektförderung bleiben, die ganze Häuser zu Sozialwohnungen macht und dort die Ärmsten der Armen zusammenpfercht. Das muß sozialen Sprengstoff geben.

Was schlagen Sie vor?

Die Saga ist für eine Sockelförderung: Gebäude werden objektgefördert, bis eine Miete erreicht ist, zu der jeder – Normalverdiener oder Sozialhilfeempfänger – einziehen kann. Letzterer müßte zusätzlich eine Subjektförderung erhalten.

Woher sollen die kommunalen Wohngeldstellen diese Mittel zaubern?

Es muß sichergestellt werden, daß der Bund sich weiter am sozialen Wohnungsbau beteiligt.

Warum sind Sozialwohnungen für Wohngemeinschaften immer noch tabu?

Bei der Saga sind sie das nicht mehr.

Wie das? In Hamburg darf man § 5-Scheine nicht zusammenlegen.

In dem Moment, wo wir laut Belegungsvertrag eine Sozialwohnung frei vergeben können, ist es egal, ob die Leute einen § 5-Schein haben oder nicht. Natürlich haben Sie aber Recht: Auch wir fordern, daß der Partnerschein wieder eingeführt wird.

Auch der gleichgeschlechtliche?

Dazu möchte ich mich nicht äußern.

Warum nicht?

Es ist nicht meine Sache, mich da einzumischen.

Nehmen wir also an: Vier Menschen, alle mit § 5-Schein, alle unverheiratet, alle unverwandt, wollen eine Vier-Zimmer-Sozialwohnung der Saga beziehen. Machen Sie da mit?

Ja, warum denn nicht. Lebensgemeinschaften verändern sich, dem muß man Rechnung tragen.

Die Zahl der Haushalte mit Singles, alleinerziehenden oder alten Menschen nimmt zu. Ist die Saga für das postfamiliäre Wohnzeitalter gewappnet?

Wir haben Schwierigkeiten, die Ein-Zimmer-Wohnungen zu vermieten, weil Singles sich damit nicht mehr zufrieden geben. Daher legen wir bei Modernisierungen, wie zum Beispiel in Heimfeld-Nord, häufig zwei Wohnungen zusammen. Wir fördern auch Wohnungstausch und den Bau hierarchiefreier Wohnungen, in denen alle Wohnräume ähnlich groß sind. Flexible Grundrisse – also Wohnungen, deren Zuschnitt durch Ein- und Umbau von Stellwänden dem jeweiligen Bedarf des Mieters ganz leicht angepaßt werden können – bieten wir seit den 60er Jahren an, aber keiner unserer Mieter hat sie je genutzt.

Wie erklären Sie sich das?

Ich vermute, die Leute haben sich in den Wohnungen halt so eingerichtet.

Vermutlich besonders die älteren?

Für die älteren Menschen müssen wir mehr tun: Die wollen immer länger in ihren Wohnungen bleiben, statt ins Altersheim zu ziehen, und das halte ich auch für das Menschlichste und Sinnvollste. Wir müssen deshalb Service- und Hilfeeinrichtungen aufbauen, die unseren Mietern im Notfall kurzfristig Adressen vermitteln können – wer zum Beispiel Essen liefert, wer das Treppenhaus putzt, wer die Pflege übernimmt. Bauliche Ergänzungen sind von geringerer Bedeutung. Da geht es um den berühmten Duschgriff in der Wanne oder die behindertengerechte Toilette.

Hätte Bürgermeister Max Brauer, der die Saga vor einem Dreivierteljahrhundert gründete, diese Entwicklung vorhersehen können?

Wir wurden zu einer Zeit gegründet, da die Wohnungsnot besonders groß war. Über Jahre waren wir intensiv mit der Versorgung mit neuem Wohnraum beschäftigt. Erst Mitte der 90er Jahre hat sich das ein wenig entspannt. Deswegen werden wir künftig zunehmend in die Modernisierung unserer Wohnungen investieren können. Es geht darum, ein Stückchen mehr Wohlbefinden zu schaffen. Fragen: Heike Haarhoff

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