Freie Hand für Schröder

■ SPD-Programm: Die Partei rückt nach rechts

Der heutige Tag wird womöglich als jenes Datum in die Annalen der sozialdemokratischen Geschichte eingehen, an dem die Entscheidung über den SPD- Kanzlerkandidaten 1998 fiel. Denn heute stellt der Parteivorstand das Wirtschaftsprogramm vor, das unter Federführung von Gerhard Schröder entstand. So liest es sich auch: Eher pflichtgemäß ist von Ökologie die Rede, euphorisch von Wachstum und neuer Technologie. Sozialhilfempfängern, die nicht arbeiten wollen, soll die Unterstützung gekürzt werden – so rennt man mit Getöse durch offene Scheunentore. Denn diese zweifelhafte Regelung ist bereits gängige (gegen die SPD durchgesetzte) Praxis. Kurzum: Dieses Programm, das sich leichter mit der CDU als mit den Grünen umsetzen läßt, ist eine Carte blanche für Schröder.

Die wundersame Auferstehung der SPD, die noch vor gut zwei Jahren in Trümmern lag, verdankte sich dem Burgfrieden zwischen Lafontaine, der die Partei ruhigstellte, und Schröder, dem Liebling der Medien. Doch nun kippt die Balance zwischen dem „rechten“ Schröder und dem „linken“ Lafontaine. Langsam, aber stetig haben die SPD-Rechten die Gewichte verschoben. Vor ein paar Monaten waren Voscherau, Schröder und Clement noch Farbtupfer in einem recht bunten Spektrum. Heute beherrschen sie mit Öko-bashing, Anti-Euro- und Law- and-order-Parolen die Debatte. Der links-ökologische Flügel meldet sich hin und wieder zaghaft zu Wort und vermeidet den Eindruck, daß man der rechten Offensive ernsthaft etwas entgegensetzen wolle. Und die stille Hoffnung mancher SPD-Linker, daß man den Kanzler Schröder schon an die Parteikandare nehmen werde, ist mit diesem Papier perdu. Schröder ist längst dabei, die Partei nach seinem Gusto zu formen.

Auch Lafontaine müßte manche dieser Thesen für „neoliberales Geschwätz“ (so der SPD-Chef an anderer Stelle) halten. Daß er das Papier ungerührt unterstützt, ist Zeichen eines Machtverlustes. Bisher bestimmt Lafontaine de facto die SPD-Linie (z. B. in der Steuerfrage) – daß Schröder sich nun sein Parteiprogramm schreiben darf, ist ein Menetekel. Es zeigt, wie nebensächlich es ist, wer unter einem SPD-Kanzler Parteichef ist. Das mußte Brandt bei Schmidt merken – Lafontaine wird es unter Schröder nicht anders gehen. Stefan Reinecke