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Richter schelten Voscherau

In einem offenen Brief werfen 20 Hamburger Richter dem Bürgermeister vor, Verfassung und Gewaltenteilung zu mißachten  ■ Von Elke Spanner

Lange genug haben die Prügelknaben des Hamburger Wahlkampfes stillgehalten. Nun machen sie ihrem Unmut Luft: Hamburgs JugendrichterInnen stellen Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) an den Pranger. Er betreibe eine Politik jenseits der Verfassung, werfen ihm 20 RechtsprecherInnen in einem offenen Brief vor. Mit seiner jüngsten Äußerung, man müsse „den Richtern mit Gesetzen Beine machen“, habe er in eklatanter Weise den Grundsatz der Gewaltenteilung mißachtet.

„Auch ein Bürgermeister, der sich im Wahlkampf befindet, sollte sich seiner Verantwortung für die tragenden Prinzipien unserer Verfassung bewußt sein“, mahnen die UnterzeichnerInnen, zu denen neben RichterInnen des Bezirksjugend- und des Landgerichts auch der Vizepräsident des Landgerichts, Kai-Volker Öhlrich, zählt.

Seit Wochen geißelt Voscherau die Gerichte, im Kampf gegen Jugendkriminalität „zu lahm, zu lasch und zu lau“zu sein. Vorläufiger Höhepunkt: Vorige Woche brandmarkte er die ersten Urteile gegen drei Jugendliche im sogenannten Neuwiedenthal-Prozeß als „falsch“und verlangte, auf Heranwachsende nicht per se das „milde“Jugendstrafrecht anzuwenden. Der Neuwiedenthalprozeß jedoch war nicht öffentlich, und „nur wer ein Verfahren miterlebt hat“, so Jugendrichter Joachim Katz, Mitunterzeichner des offenen Briefes, „kann sich ein Urteil darüber erlauben“. Vosche-rau könne das offenbar auch ohne Kenntnis der Gerichtsakten und des Prozeßverlaufs. Dies sei eine „unglaubliche Anmaßung“. Außerdem werde noch gegen etliche Jugendliche aus Neuwiedenthal weiterverhandelt.

In dem Schreiben an Voscherau heißt es deshalb, daß „Ihre Erklärung als ein gänzlich unzulässiger Versuch der Einflußnahme auf ein laufendes Verfahren gewertet werden muß“. Katz erinnert zudem daran, daß „mild oder hart“im Jugendstrafrecht gar kein Kriterium sei, sondern allein die Angemessenheit der Strafe und der erzieherische Erfolg auf die Jugendlichen.

„Die halbe Stadt ist mittlerweile davon überzeugt, daß die Richter schuld sind an der Kriminalität“, schüttelt Katz den Kopf. Und seiner Kollegin Roswitha Körner schwant, daß das letztendlich die Jugendlichen ausbaden müssen. Die UnterzeichnerInnen des Briefes stellen deshalb klar: „Wir sitzen nicht über die Jugendkriminalität zu Gericht, sondern haben in konkreten Einzelfällen nach Gesetz und Recht zu entscheiden.“

Voscherau ließ über seinen Sprecher ausrichten, daß er sich zu einem offenen Brief nicht äußere.

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