: Grenzschutz nicht als Stadtpolizei
Verschärfte Verbrechensbekämpfung à la New York erfolgt doch ohne Bundesgrenzschutz. Das Angebot von Bundesinnenminister Kanther entpuppt sich als Wahlkampfnummer ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Das Angebot von Bundesinnenminister Manfred Kanther, den Ländern für ihre Modellversuche zur Verbrechensbekämpfung nach amerikanischem Muster Kräfte des Bundesgrenzschutzes (BGS) zur Verfügung zu stellen, hat sich als Luftnummer zu Wahlkampfzwecken entpuppt. In einem Schreiben an den niedersächsischen Innenminister Gerhard Glogowski zog Kanther sein Angebot jetzt faktisch zurück. Der niedersächsische Minister hatte Hannover als Modellstadt vorgeschlagen.
„Offenkundig gibt es ein grundsätzliches Mißverständnis“, heißt es in dem Kanther-Brief an seinen Amtskollegen in Hannover. Das Bundesinnenministerium beabsichtige „keinesfalls, nach dem Motto ,100 Polizeibeamte sind immer nützlich‘“ in den Großstädten Personaldefizite auszugleichen, sondern das Innenministerium habe statt dessen eine „wesentliche Veränderung der Strategie der Verbrechensbekämpfung gefordert“.
Offiziell reagierte das Innenministerium in Hannover „mit Verwunderung auf Kanthers Rückzug“. Nunmehr wolle der Bundesinnenminister Niedersachsen nur noch Vorschriften für die Kriminalitätsbekämpfung machen, aber „keine Leute mehr schicken“, sagte gestern ein Sprecher des Landesinnenministeriums. Im niedersächsischen Innenministerium vermutet man nun, daß Kanther, der in Niedersachsen gerade die meisten BGS-Standorte auflöst, zahlenmäßig gar nicht über die von ihm öffentlich angebotenen Grenzschützer verfügt. Und der hannoversche Polizeipräsident erklärte: „Die in Hannover stationierten BGS-Beamten sind durch ihre Aufgaben am Flughafen und am Hauptbahnhof mehr als ausgelastet.“ Bundesinnenminister Manfred Kanther habe offenbar nicht damit gerechnet, daß ihn jemand beim Wort nehmen werde, hieß es aus dem Landesinnenministerium.
Grundsätzliche Kritik an Kanthers Konzept der Verbrechensbekämpfung nach amerikanischem Vorbild hat unterdessen der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, angemeldet. Nach Ansicht von Pfeiffer „fehlt BGS-Soldaten die notwendige Ausbildung für den Dienst als Polizeistreifen in den Städten“. Die Auswirkungen von mehr Polizeistreifen auf die Deliktzahlen hält der hannoversche Kriminologe ohnehin für eher gering. Durch mehr Polizeipräsenz in den Städten werde in erster Linie nur das Sicherheitsgefühl der Bürger erhöht. Die Abnahme der Deliktzahlen in amerikanischen Städten führt Pfeiffer keineswegs wie Innenminister Kanther auf „ein entschlossenes Vorgehen gegen Alltagskriminalität zurück“. Das Absinken der Deliktzahlen in US-Städten gehe zum einen auf einen Rückgang der Arbeitslosigkeit zurück, zum anderen sei Kriminalität auch schlicht in umliegende Gemeinden verdrängt worden. Außerdem registriere eine strikt auf bessere Kriminalitätszahlen verpflichtete Polizei oft nur noch die gravierendsten Delikte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen