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Adtranz-Betriebsrat für intelligente Lösungen

■ Der Straßenbahnkonzern Adtranz plant Massenentlassungen und setzt auf neue Produktionsstrukturen. Betriebsrat will mit Aktionen bundesweit dagegen vorgehen

Was viele denken, sprechen einige aus. „Damals hat der Diepgen uns noch was vorgemacht, aber dann wurde AEG in Spandau dichtgemacht und wir kamen nach Hennigsdorf“, poltert der Adtranz-Mitarbeiter aus der Wagenkastenmontagehalle. „Und jetzt wollen sie uns hier auch entlassen“, ergänzt der Kollege. Ob sie bei Adtranz notfalls in den Streik treten würden? „Sofort, natürlich“, ist die Antwort.

Der Weltkonzern für Straßenbahnen plant Massenentlassungen und Ausgliederungen von Unternehmenszweigen: Die Glasfaserkunststoffmontage und die mechanische Fertigung, die Kleinteillackierung, die Elektromechanik und die Infrastruktur von der Feuerwehr bis zur Kantine, von der Werksinstandhaltung bis zur Fahrzeugreparatur stehen für die Adtranz-Geschäftsführung plötzlich zur Disposition. Adtranz-Sprecher Hans-Christian Maaß sieht das natürlich anders: „Die Erwartung der zwei Adtranz-Shareholder Daimler Benz und ABB war von Anfang an, ein weltmarktfähiges Unternehmen zu formen. Das war schon der Gründungsauftrag von Adtranz.“ Man müsse die lokalen Traditionen der ehemaligen AEG überwinden, Doppelproduktion an verschiedenen Standorten – national wie international – sei nicht marktfähig.

Erst über den Umweg der Financial Times hatten die Beschäftigten erfahren: 5.000 MitarbeiterInnen sollen europaweit entlassen werden. Die zwölf deutschen Adtranz-Standorte hat der Konzern dabei besonders ins Visier genommen. Der Betriebsrat hält dagegen: „Wir setzen auf intelligente Lösungen. Bei der Ausgliederung der Leiterplattenfertigung an ABB-Eberbach konnten 85 Arbeitsplätze gehalten werden. Auch bei der Ausgliederung der Signaltechnik an eine Braunschweiger Firma haben wir in einem Interessenausgleich 130 tarifgebundene Arbeitsplätze erhalten“, sagt Gesamtbetriebsratsvertreter Claus Orzechowski.

Aber er ist vorsichtig geworden, bringt er doch viele Jahre AEG- Erfahrung mit: „Da haben sie oft die Katze aus dem Sack gelassen, Entlassungen angekündigt, dann die Situation wieder beruhigt und schließlich doch entlassen.“

Was die andere Variante – Ausgliederungen in andere Betriebe – angehe, so habe man bei Adtranz schlechte Erfahrungen gemacht. MitarbeiterInnen aus der Adtranz- Datenverarbeitung wurden zur Daimler-Tochter debis ohne Tarifbindung ausgelagert. Folge: Anderthalb Stunden fahren sie jetzt täglich zur Arbeit und zurück, ihr Bruttolohn liegt um 1.000 Mark niedriger.

Peppig spricht der Vorsitzende der Adtranz-Geschäftsführung Rolf Eckroth von „PEP: Unser neues Programm Projektorientierung, Ergebnisverbesserung, Prozeßoptimierung ist die ultimative Chance, die wir kompromißlos nutzen müssen“, fordert er. Adtranz-Sprecher Maaß erklärt die Zielrichtung: Die Beschäftigten müßten zu Projektleitern ausgebildet werden, die Unternehmer im Unternehmen werden. Qualitätsmanager würden benötigt, die die Anlieferung von Produkten überwachten. Aufträge für das Unternehmen seien zwar mit zehn Milliarden Mark bis zum Jahr 2000 gesichert, aber dann würde es eng, und Weltmarktpreise müßten bedient werden.

Kaum glaubhaft, daß der Weltmarktriese Adtranz nur bis zur Jahrtausendwende plant, legte die deutsche Geschäftsführung doch noch vor kurzem Wirtschaftsdaten vor, die die Auftragslage der nächsten zehn Jahre positiv darstellen.

Vertrauen in die Geschäftsleitung haben nicht einmal mehr die hochqualifizierten Mitarbeiter aus Software- und Elektronikentwicklung bei Adtranz: „Wir sind aktuell nicht betroffen, aber wenn sie wollten, würden sie auch unsere Abteilung verlagern. Die sind nicht berechenbar“, so ein Mitarbeiter nach dem Kantinengang. Mit „die“ sind vermutlich die Herren gemeint, die gerade vor der Hauptverwaltung in ihre schwarzen Luxuskarossen steigen.

Der Betriebsrat, der bereits zum wiederholten Mal der Geschäftsführung schlechte Kalkulation vorwarf und recht behielt, wird auch in der anstehenden Verhandlung im Adtranz-Wirtschaftsausschuß eigene Stategien vorlegen. Als Druckmittel hat der Hennigsdorfer Betriebsrat ein abgestimmtes Vorgehen der zwölf deutschen Adtranz-Standorte angekündigt. Peter Sennekamp

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