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■ Unsere Bildungseinrichtungen erweisen sich als Klotz am Bein der mannigfaltigen individuellen AusbildungsaktivitätenVergeßt die Universitäten!

Ach, waren das noch Zeiten, als Berufsprestige klar und eindeutig verteilt war, als Pfarrer, Doktor oder Richter die Rankings anerkannter Tätigkeiten anführten. Heute dagegen legt die stolze Auskunft, in Institutionen wie dem „Institut für zeitbasierte Medien“ zu arbeiten oder sich gar der Reform des Studienganges „transmediales Gestalten“ zu widmen, eher die Vermutung nahe, einer exotischen Sekte anzugehören. Und in gewisser Hinsicht stimmt das ja auch. Denn auch wenn alle Jahre wieder ein Zittern und Beben durch die Universitäten geht, wenn Sparkommissare und Strukturreformer mit ihren eisernen Besen wedeln, das Interesse der Studenten – ganz zu schweigen vom großen und entscheidenden Rest der Menschheit – an dem ganzen Getöse ist bezeichnenderweise gering.

Die Panik von Dozenten und Apparatschiks mag sich zwar noch auf die eine oder andere sensible Studentenseele übertragen, doch das Gros der Studierenden ist schlichtweg anderweitig beschäftigt. Der zeitgenössische Langzeitstudent nämlich hat in seinem universitären Dasein nicht nur verschiedene Fächer begonnen, abgebrochen oder nach einigem Hin und Her erneut aufgenommen und diverse Jobs zur Finanzierung von Schule und Studium durchlaufen – auch die unzähligen, meist nie wirklich realisierten Reformversuche begleiten ihn bereits seit der gymnasialen Oberstufe. Und spätestens der zweite Unistreik war dann eher ein willkommener Anlaß, sich endlich dem ohnehin wichtigeren Nebenjob zu widmen, als sich allzu große Sorgen über seine Zukunft als Insasse eines Instituts oder Fachbereichs zu machen. Er hat einfach gelernt, der Institution wenig, sich selbst aber um so mehr zu vertrauen.

Ohnehin ist es viel weniger der Glaube an die Lehrinhalte, an Relevanz und Praxistauglichkeit des Angebots, der den Nachwuchs immer noch zu Hunderttausenden in die Universitäten strömen läßt, als die zählebige Vorstellung, allein durch einen anerkannten Abschluß Kompetenz und Wissen bestätigt bekommen zu können. Wissenserwerb findet nämlich mehr und mehr nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Institutionen statt – viel eher erweisen sich Schule und Universität als Klotz am Bein der mannigfaltigen individuellen Ausbildungsaktivitäten!

So bedeutet die Universität für einen großen Teil der Studierenden zunächst einmal die Chance, sich jenseits der Zwänge des Angestelltendaseins zu orientieren, Kontakte zu knüpfen und neue Lebensmodelle auszuprobieren. Wo die Botschaft „Take the Bafög and run“ heißt, ist die Uni vor allem Jobbörse und Volkshochschule, steuergünstiger Unterschlupf für die Unternehmensgründung und unverbindliches Diskussionsforum zur Erprobung der eigenen Weltsicht.

Wer jenseits der Universität die unterschiedlichsten Kompetenzen erworben hat, der ist natürlich auch anspruchsvoll und weiß ziemlich genau, was er will. Für Seminare oder Vorlesungen im klassischen Sinne – ganz zu schweigen vom Engagement in Gremien und Räten – hat er nicht nur allzu eigenständige Vorstellungen, er ist ganz einfach überqualifiziert! Kurz gesagt: es gibt ein Leben jenseits der Uni, und das nimmt einen immer größeren Stellenwert ein. Lernen findet vor allem hier statt. Das einzige, was den zeitgenössischen Patchwork-Autodidakten fehlt, ist ein verbindlicher Rahmen auf Zeit, in dem sie all ihre Fähigkeiten und Imaginationen einmal zusammen mit anderen ebenso eigenständigen Wissensträgern für eine konkrete Aufgabe nutzen können.

Einen solchen Rahmen, konkrete Aufgaben mit einem eindeutigen Ziel anzubieten, kann Aufgabe einer gewandelten Universität sein, die nicht mehr auf den Erwerb von Diplomen und Abschlüssen ausgerichtet, sondern tatsächlich am Erzielen von Ergebnissen interessiert ist!

Eine solche Universität, die interdisziplinär die unterschiedlichsten „Experten“ zur Lösung einer konkreten Aufgabe versammelt, wäre nicht mehr in erster Linie Ausbildungsstätte, sondern Akademie für Ideen und Aufgaben. Sie böte ein Forum für die temporäre Allianz individueller „Kompetenzträger“, die in einem überschaubaren Zeitrahmen ein konkretes Projekt abschließen, um danach wieder ihre eigenen Wege zu gehen. Ohne die Vorstellung, einen Abschluß erwerben zu müssen, zählt dabei vor allem der Erfolg der gemeisterten Aufgabe als Kompetenzbeweis. Ganz entscheidend für ein solches „Erfolgserlebnis“ ist dabei neben der Brauchbarkeit der Lösung natürlich auch die Tatsache, daß sie auch außerhalb des Bunkers Universität zur Kenntnis genommen oder gar nachgefragt wird.

Und so ephemer die Strukturen einer solchen „Universität“ für die Studenten wären, so vage und zeitlich begrenzt würde sich natürlich auch die Aufgabe der „Lehrenden“ darstellen. Ihre Funktion läge eher in der Moderation, in der Funktion externer Experten, die Wissen und Erfahrung gezielt zu einem Thema von außen hereintragen, und nicht zuletzt in der Lebens- und Berufsberatung jenseits der Lehre. Um den Absolventen einen erfolgreichen Weg in ihre berufliche Zukunft zu weisen, kann der Steuerberater nämlich oft mehr beitragen als die „Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten“.

Ein solches Szenario läßt sich scheinbar kaum innerhalb dessen realisieren, was Universität heute ausmacht. Doch wer gebannt auf Gremienentscheidungen wartet, die Studien- und Prüfungsordnung als Maß aller Dinge begreift und sich ohne Diplom irgendwie nackt vorkommt, der kommt natürlich nicht auf den Gedanken, einfach einmal selbst etwas auf die Beine zu stellen!

Denn der eigentliche Ausweg aus dem universitären Dilemma besteht nicht in der x-ten Reform von Strukturen, Plänen und Gremien, er besteht vor allem darin, was die Studenten selbst an konkreten Leistungen hervorbringen. Eine neue Idee, eine aufsehenerregende Arbeit jenseits des Mainstream – all dies hat eine Wirkung. Und zwar jenseits der Universität – also dort, wo es letztlich darauf ankommt. Wenn die Institution damit nichts anfangen kann, um so schlimmer für sie selbst. Irgendwann werden ihr nämlich dann tatsächlich all diejenigen durch die Lappen gehen, die noch etwas Neues beizutragen haben. Mit dem Rest läßt sich vielleicht eine Verwaltungsakademie betreiben, die eigentliche Idee der Universität aber ist spätestens dann anderswo beser aufgehoben. Ihr schleichender Tod wird niemanden mehr wirklich interessieren, und vielleicht wäre das ja auch gar nicht so schrecklich... Johannes Goebel

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