: „Aus den Anschlägen nichts gelernt“
■ Der Sozialdemokrat Hakki Keskin über den Kurswechsel seiner Partei in der Ausländerpolitik und seinen Frust im Hamburger Parlament
Hakki Keskin, Professor für Politologie in Hamburg und Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, saß von 1993 bis 1997 in der Hamburger Bürgerschaft. Jetzt verabschiedete er sich vom Parlament mit einer bitteren Bilanz.
taz: In den letzten Jahren treten Deutsch-Türken vermehrt in bundesdeutsche Parteien ein. Lohnt sich dieses Engagement?
Hakki Keskin: Ich denke, daß es eine positive Entwicklung ist. Wir wollen hier mit allen politischen Rechten leben. Die Pflichten haben wir ja bereits seit Jahren.
Sie haben in vier Jahren in der Hamburger Bürgerschaft aber erlebt, daß es nicht einfach ist – zumindest nicht in der SPD.
Die SPD hatte bis 1993 auf verschiedenen Parteitagen zur Ausländerintegration brauchbare Beschlüsse gefaßt. Ich hatte die Hoffnung, daß die SPD nach den Ereignissen von Mölln und Solingen einiges gelernt hat. Ich habe mich getäuscht.
Voscherau und Schröder haben einen Kurswechsel in der Ausländerpolitik vollzogen?
Sicherlich. Der Stellenwert der Ausländerpolitik hat in den letzten Jahren innerhalb der SPD rapide abgenommen. Aber die Hamburger Wahlen haben gezeigt, daß das ein falscher Ansatz ist. Wir können das in dieser großen und wichtigen Partei nicht zulassen.
In der CDU und FDP scheint die Ausländerpolitik im Moment spannender diskutiert zu werden als in der SPD.
Die CDU ist mit großer Verspätung bei dem Thema eingestiegen. In der Tat läuft in Teilen der CDU eine interessante Diskussion. Schaut man allerdings genauer hin, merkt man, daß die Partei noch viel Nachholbedarf hat.
Gibt es bei den Deutsch-Türken einen Trend weg von der SPD?
Nach meiner Beobachtung sind viele in der Tat zutiefst von der SPD enttäuscht. Das liegt an der Tatenlosigkeit der Ausländerpolitik und an den Äußerungen Schröders und Voscheraus. Das hat bei vielen ehemaligen SPD-Wählern und Mitgliedern dazu geführt, daß sie diesmal die Grün-Alternative Liste gewählt haben. Die SPD muß jetzt begreifen, daß sie uns nicht als Vorzeigeausländer präsentieren kann.
Wenn die SPD keinen Platz für Migrationspolitik läßt – wo ist dann noch politischer Spielraum?
Die außerparlamentarische Arbeit der Selbsthilfeorganisationen ist ungeheuer wichtig. Hier können die Einwanderer ihre Forderungen und ihre Kritik augiebig diskutieren und in die Öffentlichkeit bringen. Das ist in den Parteien und ihren Gremien überhaupt nicht möglich. Und außerdem merke ich bei anderen Parteien, zum Beispiel bei den Bündnisgrünen, daß sie ihren Immigranten mehr Gewicht beimessen als die Hamburger SPD. Wenn ich gesehen hätte, daß zumindest zwanzig Prozent der Fraktion ihre eigenen migrationspolitischen Forderungen ernst nimmt, hätte ich nicht diese Konsequenzen gezogen. Interview: Eberhard Seidel-Pielen
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