: War bloß ein Planungsfehler
Manfred Stolpe nimmt die antisemitischen Bewohner von Gollwitz in Schutz: Sie seien nicht richtig informiert worden. Seine Entscheidung: Keine Juden nach Gollwitz ■ Von Anita Kugler
Berlin (taz) – Im 405-Einwohner-Dorf Gollwitz im Landkreis Potsdam-Mittelmark werden keine jüdischen Kontingentflüchtlinge aus den GUS-Staaten untergebracht. Dies erklärte der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe (SPD), nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde von Berlin, Andreas Nachama.
Gollwitz kam letzte Woche in die Schlagzeilen (taz vom 24. und 27.9.), nachdem der Gemeinderat einstimmig beschlossen hatte, in einem leerstehenden Herrenhaus keine Flüchtlinge zu wollen. Laut Stolpe führte nicht „Judenfeindschaft“ zu der Gemeinderatsresolution, sondern „Planungsfehler“. Wie bereits berichtet, war die Gemeinde von der Absicht des Landkreises, das Herrenhaus für 50 jüdische Emigranten umzubauen, nicht informiert worden.
Laut Stolpe sollen die Flüchtlinge, die derzeit in der Gemeinde Ferch übergangsweise leben, an einem anderen „Standort“ untergebracht werden. Sicher sei auch Gollwitz nach einer besseren mentalen Vorbereitung willens, Emigranten aufzunehmen.
Der Ministerpräsident reagierte damit sehr schnell auf einen Brief, den er am Freitag von Andreas Nachama erhalten hatte. Darin betont Nachama, daß es „erneut“ das Bundesland Brandenburg sei, das nach dem Brandanschlag auf die Gedenkstätte Sachsenhausen 1992 und den unzähligen Übergriffen Rechtsradikaler auf ausländische Bürger „antisemitische Schlagzeilen“ macht.
Es sei Stolpes Aufgabe, im Bundesland für eine Atmosphäre zu sorgen, in der Menschen ohne Ansehen ihres Herkunftslandes oder Glaubens miteinander leben können. Nach zwölf Jahren Naziterror und jahrzehntelanger SED-Herrschaft „scheint die Wiedereinrichtung des jüdischen Lebens in Brandenburg offenbar unmöglich“, schrieb Nachama. Zuvor hatte er in einer Erklärung die offenen Ressentiments des Gollwitzer Gemeinderats und der Bürger als „neuen traurigen Höhepunkt“ in einer seit 1945 besiegt geglaubten „Judenfeindschaft“ bezeichnet.
In Brandenburg leben derzeit etwa 2.000 jüdische Emigranten, verteilt auf zehn Gemeinden. Weitere 800 sollen noch in diesem Jahr ankommen, die nach einem festgelegten Schlüssel auf die Landkreise verteilt werden. Wie viele der Landkreis Potsdam-Mittelmark aufzunehmen hat, ist derzeit noch unklar. Die zweite Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Potsdam, Irene Knochenhauer, hält es für eine „Gegensteuerung zu einem aktiven jüdischen Gemeindeleben“, wenn das Land Flüchtlinge weitab von den bestehenden jüdischen Zentren, auf dem dörflichen Land unterbringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen