: Spätere Heirat nicht ausgeschlossen
Vor den Parteitagen von CDU und SPD: Die wirtschaftspolitischen Theorien der beiden Parteien unterscheiden sich deutlich, doch ihre Konzepte für viele Politikfelder sind beinahe identisch ■ Aus Bonn Markus Franz
Die Ursachenforschung der beiden großen Parteien für die hohe Arbeitslosigkeit fällt vordergründig unterschiedlich aus. Die CDU bemüht „strukturelle Gründe“ in ihrem Leitantrag, der nächste Woche auf ihrem Parteitag behandelt werden soll. Nach CDU-Lesart bedeutet das: „Wirtschaftliches Wachstum setzt sich nicht mehr rasch genug in einen Zuwachs an Arbeitsplätzen um.“ Auch die Globalisierung der Wirtschaft hat der CDU zufolge ihren Teil zur Arbeitslosigkeit beigetragen.
Die SPD beschreibt die Globalisierung in ihrem Leitantrag für den Parteitag im Dezember eher optimistisch als Chance für mehr Absatzmöglichkeiten. Allerdings ist die Partei vom eigenen Optimismus nicht ganz überzeigt: Die negativen Auswirkungen der Globalisierung will die SPD durch eine Steuerharmonisierung in allen Industrieländern begrenzen – eine Vorstellung, die die CDU für nicht realisierbar hält.
Für die Sozialdemokraten sind „die konservativen Konzepte von gestern“ an der Arbeitslosigkeit von heute schuld. Und doch setzt die SPD mehr als je zuvor auf ein Dogma der Konservativen: „Wirtschaftswachstum ist für die Schaffung von Arbeitsplätzen unverzichtbar“, lautet ein spektakulärer Satz. Gerhard Schröder nannte das die wichtigste Aussage des Leitantrages.
Die theoretischen Konzepte hinter diesen Einschätzungen unterscheiden sich deutlich. Die Sozialdemokraten bevorzugen eine Nachfragepolitik: Die Kaufkraft der Normalverdiener soll gestärkt, dadurch die Nachfrage angekurbelt und die Investitionsbereitschaft gestärkt werden. Konkret bedeutet das zum Beispiel: Steuersenkungen soll es nur für Arbeitnehmer und Familien geben. Die CDU lehnt solche Ansichten polemisch ab: Arbeitslosigkeit dürfe nicht als Verteilungsproblem begriffen werden. „Dies bestätigt am eindrucksvollsten der Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaften.“
Dahinter steckt die Überzeugung: Wenn das Geld von oben nach unten verteilt wird, haben die Arbeitgeber weniger Geld, um es in neue Arbeitsplätze zu investieren. Die gestiegene Kaufkraft der Arbeitnehmer nützt nichts, wenn sie ihr Geld für Reisen in die Südsee oder zum Kauf von japanischen Hi-Fi-Anlagen verwenden.
Die CDU will daher vor allem die Angebotsseite, also die Unternehmerseite, stärken. Doch die Volkspartei, die auch einen Arbeitnehmerflügel integrieren muß, schreibt das nicht ausdrücklich. Statt dessen verlegt sie sich auf eine vage Freiheitsforderung: „Wir brauchen mehr Freiheit denn je, damit sich die notwendigen Innovationskräfte in unserer Gesellschaft entfalten können.“ Bedeutet diese Freiheit etwa mehr Verzicht der Arbeitnehmer und Arbeitslosen? Der CDU-Leitantrag spricht sich zwar nicht eindeutig für niedrigere Löhne aus, doch er fordert „unabdingbar die Bereitschaft, Arbeitszeit und Arbeitskosten in ein den globalen Bedingungen angemessenes Verhältnis zu bringen“. Auch Kürzungen von sozialen Leistungen, die typisch für eine Angebotspolitik sind, deutet der Leitantrag nur an.
Sowohl CDU als auch SPD haben erkannt, daß sie ihre Wähler am besten durch das Propagieren neuer Wachstumschancen ködern. Worte wie „Innovation“ und „Chance“ ziehen sich wie ein roter Faden durch beide Papiere. Die meisten Arbeitsplätze erwarten Union und SPD in der Umwelt-, Bio- und Gentechnologie. Ihren eigenen Beitrag dazu beschränkt die Union weitgehend auf die Forderung: „Die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen für Gentechnik in Deutschland sind kontinuierlich den weiteren Anforderungen anzupassen.“ Ausführlicher wird die SPD, die eine Aufstockung der öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben fordert, eine bessere Nachwuchsförderung für junge Wissenschaftler und Hochschulabsolventen will sowie die Gründung von Forschungs- und Verwertungsgesellschaften an den Hochschulen anregt. Gemeinsam plädieren CDU und SPD für Überstundenabbau, Teilzeitbeschäftigung, flexiblere Arbeitszeiten. Einig sind sich Christ- und Sozialdemokraten darin, die Lohnnebenkosten zu senken und Niedriglöhne für einfache Tätigkeiten durch öffentliche Zuschüsse aufzustocken. Ganz im Sinn der CDU sind die Konzepte der SPD für eine mittelstandsfreundliche Politik mit der Forderung nach „Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“ und der „Bereitstellung von Chancenkapital für junge wachstumsintensive High-Tech- Unternehmen“.
Unterschiede liegen manchmal im Detail, und folgende Formulierung ist bislang wohl nur einer Partei zuzutrauen: „Immer mehr Schüler lassen es im Unterricht an Gemeinsinn, Höflichkeit und Respekt gegenüber den Lehrkräften fehlen. Lehrer müssen sich gegenüber Schülern durchsetzen können, ohne dafür vorher Konferenzen einberufen zu müssen.“
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