: Der Fremde und der Wald
Auf der venezolanischen Halbinsel Paria im Bundesstaat Sucre soll der Tourismus im Rahmen eines Renaturierungsprojekts zur Einnahmequelle werden ■ Von Christian Schmincke
Wart ihr schon bei Don Claus?“ fragt uns der Taxifahrer, der uns ins Zentrum der Stadt Carúpano befördert. „Na, der Deutsche, der da unten in Guaraúnos auf seiner Büffelfarm lebt und für die Natur kämpft“, ergänzt er. Ein deutscher Naturschützer in Venezuela, einem Land, in dem derzeit das Wort „Naturschutz“ allenfalls im Zusammenhang mit den Müllbergen im Munde getragen wird. Wo der Liter Benzin umgerechnet 5 Pfennig, ein Liter Mineralwasser dagegen das Zehnfache kostet? Das klingt nach deutschem Sendungsbewußtsein.
Mit 77 Dollar pro Tag inklusive Unterkunft, Mahlzeiten und Führungen erweist sich der Besuch bei Müller gemessen an landesüblichen Preisen als teure Angelegenheit. Nach telefonischer Verabredung stehen wir einen Tag später vor den Toren der Finca Claus Müllers, den im 30 Kilometer entfernten Canúpano jeder kennt. Hoch gewachsen und bärtig, mit unverkennbar süddeutschem Akzent, führt er uns zu unseren Unterkünften. Dabei erklärt er das Konstruktionsprinzip der Gebäude, die aus Holz, Lehm und mit Dächern aus Palmblättern gebaut sind. „Ventilatoren und Klimaanlagen gibt es hier keine“, sagt er, dafür werde bei jedem Gebäude auf Belüftung geachtet. Anstelle von Glas bieten in Türen und Fenstern engmaschige Fliegengitter Schutz vor unliebsamen Besuchern.
„Bienvenidos“ – „Willkommen“ – grüßt ein Schild am Eingang zum Waldgebiet. „Hier haben vor etwa 15 Jahren findige Planer mit dem Aufbau eines Ausflugszieles begonnen“, erklärt Claus die Ansammlung wenig attraktiver Gebäude an einem kleinen Flußlauf. Er selbst, damals mit der Fortführung des Vorhabens beauftragt, habe zunächst einige Bauten eingerissen und sich damit erheblichen Ärger mit den lokalen Behörden eingehandelt. Danach habe er nicht mehr viel verändert. Der Platz sei an jedem Wochenende das Ziel zahlreicher Ausflügler.
Kurze Zeit später umgibt uns tropischer Wald mit bis zu 20 Meter hohen Bäumen. „Endlich Urwald“, geht es durch die Köpfe. Doch Claus enttäuscht uns mit der Bemerkung, daß es sich hier um das Gelände einer etwa vor 50 Jahren aufgegebenen Kakaoplantage handelt. „Echter Primärwald ist viel lichter“, bemerkt er mit einem Grinsen. Immerhin – die Rückeroberung durch die Natur ist beeindruckend. Mächtige Ceibas und andere Baumarten, einige mit imposanten Luftwurzeln, bestimmen das Bild. „Vor kurzem trafen wir einen der Einheimischen, die hier zum Jagen hinkommen, mit einem gefangenen Faultier“, erzählt Claus. „Sie hatten einen Baum gefällt, um das Tier zu fangen. Um das recht seltene Tier zu retten, haben wir es ihm abgekauft und wieder ausgesetzt. Wenige Tage später kamen welche zu uns und boten uns ein gefangenes Faultier gleich zum Kauf an. Da wir wußten, daß wir damit einen Anreiz zur weiteren Jagd böten, haben wir das abgelehnt, mit der Folge, daß wir das Tier am folgenden Wochenende zur Belustigung der Ausflügler an einen Pflock gebunden vorfanden.“ Im Moment, so Müller, seien sogar Bestrebungen im Gange, Teil des Waldes abzuholzen, angeblich, um die Kakaoplantage wieder in Betrieb zu nehmen.
Nach dem Mittagessen mit – äußerst schmackhaftem – Büffelfleisch aus der eigenen Zucht geht es in das Feuchtgebiet, in dem Müller seine Vision naturverträglicher Landwirtschaft umsetzt. Ziel des Unternehmens ist es, mit Hilfe extensiver Landwirtschaft eine Art Pufferzone um das geschützte Gebiet des Nationalparks der Halbinsel Paria zu schaffen. „Das war alles einmal Wald“, sagt Claus, mit dem Finger über die Feuchtsavanne weisend, die vor den bewaldeten Hügeln des Nationalparks liegt und uns eigentlich als vollkommenes Naturidyll erschien. „Das meiste ist durch Brände zerstört worden. Nach einem Brand kann sich so ein Wald noch regenerieren, aber wenn sich die Sache wiederholt, ist es irgendwann zu spät.“ Mit den Büffeln, von denen im Feuchtgebiet gut 1.000 Exemplare frei leben, wolle er die Ausbreitung unterschwelliger Brände verhindern. „Die Tiere grasen bei niedrigem Wasserstand Binsen und andere Gewächse so weit ab, daß Feuer nicht mehr genügend Nahrung finden.“ Neben den Büffeln, die im Unterschied zu unseren Rindern nicht im Schlachthof, sondern durch die Jagd ihr Ende finden, sollen Welse, die Müller in den Gewässern aussetzt, zur Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage des Projekts beitragen. Von diesen „sanft“ genutzten Wirtschaftszonen umgeben, wird ein schmaler Streifen des Gebietes inzwischen vollkommen der Renaturierung überlassen.
Mit dem Einbaum paddeln wir durch die Binsen, die nun in der Trockenzeit aus dem Wasser ragen, zu einem palmengedeckten Pfahlhaus, Claus Müllers eigentlichem Domizil. Das Gebiet ist als militärische Sperrzone gekennzeichnet. Reibungslos, so räumt er ein, funktioniere ein solches Projekt nicht in einer Region, in der sich ein Großteil der Bevölkerung nur mit Mühe von den Erträgen ihrer Landwirtschaft ernähren könne. Immer wieder gebe es Probleme mit Wilderern. Als Folge der Auseinandersetzungen um die unerwünschten Besuche hat sich eine skurrile Allianz gebildet. „Im Moment kriege ich hier von zwei Seiten Unterstützung – von der radikalen Linken, die in der Causa R organisiert ist, und vom Militär.“ Der Vorsitzende der regionalen Causa R habe sich persönlich von seinem Projekt überzeugt und sei seitdem auf seiner Seite, und im venezolanischen Militär habe es schon immer sehr verschiedene Kräfte gegeben. Durch Kontakte zu maßgeblichen Persönlichkeiten sei es ihm gelungen, das Gebiet zur Sperrzone erklären zu lassen. Fragt sich bloß, ob diese radikale Maßnahme nicht auch die Nachbarn zu neuen Mitteln treibt.
Je nach Eigeninteresse steht die einheimische Bevölkerung Claus Müller gespalten gegenüber. Für einige Bewohner Guaraúnos' und für Teile der lokalen Behörden ist er einfach ein „Loco“, ein Verrückter. Anders sehen das die Leute, die auf der Finca arbeiten und dort neben einem einigermaßen akzeptablen Verdienst inzwischen auch ein kostenloses Mittagessen erhalten. Ihnen fällt es relativ leicht, die Normen des Naturschutzes zu respektieren. Allerdings geht ihre Identifikation mit dem Projekt nicht so weit, daß sie ihre Dorfnachbarn, die im Gebiet weiterhin illegal fischen, aus dem Gebiet verjagen oder verpfeifen würden. Um seine Sicht der Dinge zu verdeutlichen, zeigt uns Claus auf einem Ausflug ins gebirgige Umland die Schattenseiten der bislang üblichen Wirtschaftsformen – durch Monokulturen ausgemergelte Böden, immer höherer Bedarf an chemischen Düngemitteln und Pestiziden, Landgewinnung durch unkontrollierte Brandrodung, Bodenerosion. Diese extensive Bewirtschaftung mit Hilfe der Chemieindustrie hat weder zu Wohlstand noch zur Schonung der Ressourcen beigetragen.
Mittel- und langfristig sollen Besucher einen immer größeren Teil der wirtschaftlichen Basis des Projekts tragen. Die Renaturierungszonen sollen erweitert, die einstweilen als Muster umweltverträglicher Landwirtschaft betriebene Büffel- und Fischzucht weiter nach außen verlagert werden. Bereits heute, so versichert Müller, gehen 15 Prozent der Einnahmen aus dem Tourismus direkt in das Renaturierungsprojekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen