: Reise ins Gestern
■ Zehn Jahre nach der IBA werden immer noch Projekte der Internationalen Bauausstellung realisiert. Das Buch "Eine Bilanz" versucht, ihre Bedeutung zurückzuholen Von Rolf Lautenschläger
Wer heute von Architektur und Stadtplanung in Berlin redet, dem kommen fast zwangsläufig die großen Projekte für Parlament und Regierung, am Potsdamer Platz, in der Friedrichstraße oder am Pariser Platz in den Sinn. Sie dominieren in der Debatte, sie spiegeln den „Architekturstreit“ der vergangenen Jahre wider, an ihnen wird die Entwicklung von der Front- zur Hauptstadt gemessen. Wie rapide der Diskurs verläuft, läßt sich am Alexanderplatz nachzeichnen: Hans Kollhoffs „Minimanhattan“ mit 12 Türmen gilt heute schon als Schnee von gestern. Kaum einer spricht mehr über den Bauwettbewerb von 1994.
Nicht zuletzt darum versinken auch die Bauten der Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA) immer mehr im Schlagschatten der Hauptststadtplanung. Zehn Jahre nach der Abwicklung der IBA-Gesellschaft 1987 steht zwar der Löwenanteil der renommierten Projekte fertig gebaut in den „Demonstrationsgebieten“ Tiergarten, Südliche Friedrichstraße, Tegel und am Prager Platz. Daß jedoch noch Grundstücke brachliegen, Entwürfe unrealisiert bleiben und nicht wenige Gebäude sich im Bau befinden, interessiert wenig – ebenso wie die Aufarbeitung der „kritischen Rekonstruktion“, jener vom damaligen IBA-Chef Josef Paul Kleihues formulierten Methode des Wiederaufbaus.
Die „Bilanz“ der Internationalen Bauaustellung, wie sie jetzt von Ex-IBA-Mitarbeiter Günter Schlusche aufgeschrieben wurde, liest sich denn auch wie eine spannende Reise in die Westberliner Bauvergangenheit, deren Zeiten passé sind. Schlusche blättert akribisch auf, wie sich seit dem Ende der 70er Jahre nicht nur neue Ziele der Stadtentwicklung – vom modernistischen verkehrsgerechten hin zum innerstädtischen dichten Stadtmodell – durchsetzten. Wichtig für die Entstehung und Arbeit der IBA ist ebenso, daß die Planungsprozesse, die „Orts- und Problemnähe“ – jene besondere „Berliner Planungskultur“ – zum Leitbild der IBA avancierten. Bisher gültige Prämissen der Stadtplanung „waren nicht mehr anwendbar“, schreibt er. „Gefragt war vielmehr eine Vielfalt der Methoden und deren elastische Anwendung, um der gewachsenen Zahl von Akteuren, aber auch der angesprochenen Problemvielfalt gerecht werden zu können.“
Zu den IBA-„Akteuren“ gehörten nicht nur das große Organisationsteam samt Architekten. Teil des „IBA-Modells“ waren auch die Senatsbauverwaltung, Stadterneuerungs-Experten, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Bürger und Betroffenenvertretungen. Nur so, meint Schlusche, sei es gelungen, die „baulichen, technischen, ökonomischen und kulturellen Implikationen“ der Stadtreparatur und Bodenpolitik unter einen Hut zu bringen.
Daß sich die IBA „Bauen auf dem historischen Stadtgrundriß“, die Rekonstruktion und den Wiederaufbau auf die Fahnen schrieb und der „Flächensanierung“ Einhalt gebot, ist heute in der südlichen Friedrichstraße, der Kochstraße, Ritterstraße oder Zimmerstraße hinreichend zu betrachten. Kleihues aktivierte dazu Architekten der Postmoderne wie Aldo Rossi oder John Heyduk ebenso wie Architekten der „zweiten Moderne“ wie Peter Eisenman oder das niederländisch/ britische Team OMA, die den Dialog zwischen Tradition und Moderne wiederbeleben sollen.
Sie alle bauten, das zeigt Schlusche anhand konkreter Beispiele in der Ritterstraße, der Rauchstraße oder in der südlichen Friedrichstraße, im Block, entlang der historischen Straßenfluchten, in der Berliner Traufhöhe von 22 Metern und mit steinernen Fassaden, um damit dem besonderen Genius loci, dem ortsspezifischen spirit of the city, gerecht zu werden. Wer gegen diese Parameter in seinem Entwurf verstieß, wer das Haus als Solitär und nicht eingebunden in den städtebaulichen Kontext zeichnete, hatte es schwer, an den Auftrag zu kommen.
Heraus kamen darum zumeist Gebäude, die wenig aus der Reihe tanzten. Wer den IBA-Komplex an der Linden- mit den Planungen in der Ritterstraße vergleicht, wird denen simple Ähnlichkeiten attestieren. Die gebauten „Stadthäuser“ erinnern an kleine Sozialkistchen aus dem Baukatalog. Ganz schlimm trieben es die Planer an der Rauchstraße, wo der spirit of the city in Nachahmungen der Nazibauten des nahen Diplomatenviertels zutage trat. Doch hin und wieder schlichen sich auch Ausnahmen ein: Rem Koolhaas' Haus am Checkpoint Charlie, Zaha Hadids kleines Hochhaus in der Stresemannstraße oder das gläserne taz-Haus von Gerhard Spangenberg.
Daß die IBA trotz ihres Anspruchs auf „Stadtreparatur“ und „kritischer Rekonstruktion der Innenstadt“ keineswegs städtisch und wirklich urban baute, kritisiert auch Schlusche. Die Konzentration auf den Wohnungsbau, die fehlenden Einrichtungen für Arbeits- und Dienstleistungsnutzungen haben dem „Modell IBA“ den Ruf des Provinziellen eingebracht. Das ist sicher ungerecht, wie der Autor anmerkt, bedeutete doch die Strategie für innerstädtisches Wohnen – insbesondere für die „IBA-Alt“ in Kreuzberg von Hardt Walther Hämer –, die Interessen der Stadtbewohner nach dem „Kiez“ ernst zu nehmen. Nicht Verdrängung aus der Stadt, sondern deren Wiederbelebung mittels Wohnungsbau war das (defizitäre) Ziel.
Es gehört zum Manko der „Bilanz“, daß Schlusche sich wenig mit der IBA-Alt, der Altbausanierung in Kreuzberg, befaßt. Sein Thema schließt deren sozialpolitische Bedeutung aus und konzentriert sich auf die Neubauten, ohne sich auf die kritische Analyse des Gebauten einzulassen. Daß er am Ende noch den Sprung in die Gegenwart vollzieht und meint, die „Grundsätze der IBA“ auch beim Wiederaufbau Ostberlins nach 1989 anzutreffen, gleicht einem Salto mortale: Die monotonen Blöcke der Friedrichstraße, die heute unter kritischer Rekonstruktion firmieren, haben kaum etwas mit dem Original zu tun. Da fällt er ein wenig auf die Propaganda der Bauverwaltung und der Investoren herein.
Günter Schlusche: „Die Internationale Bauausstellung Berlin. Eine Bilanz“. Berlin 1997, IRS-Arbeitshefte, 40 DM
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