Kommentar: Falscher Maßstab
■ Urteil des Landgerichts legitimiert indirekt die Tötung behinderten Lebens
Die Tötung behinderter Menschen hat in Deutschland Geschichte. Das Motiv, man habe ein behindertes Kind „erlösen“wollen, darf keine Anerkennung finden. Denn wer soll darüber entscheiden, ob eine Behinderung als „Zumutung“empfunden werden darf, wieviel ertragbar sein muß und wieviel nicht?
Vor Gericht ist es ein Grundsatz der Strafzumessung, die Lebenssituation der Täter zu beleuchten. Zu ermitteln, ob aus einer Notlage heraus oder im Affekt gehandelt wurde. Hat jemand einen kranken Menschen getötet, dürfen diese Hintergründe nicht stärker ins Gewicht fallen, als bei einem gesunden Opfer. Aber auch nicht weniger.
Die Große Strafkammer des Landgerichtes war gestern sensibel genug, nicht strafmildernd anzuführen, daß der Täter das Kind „erlösen“wollte. Gleichwohl hat sie den Vergleich zu der Tötung eines Neugeborenen gewählt, über die vor zwei Wochen verhandelt wurde – und die beiden Fälle damit auf eine Stufe gestellt.
Vor zwei Wochen hatte das Gericht filigran herausgearbeitet, daß ein Vater im Affekt und damit in einem minder schweren Fall gehandelt hatte. Mit den Schmerzen des Kindes, mit seinen Schreien begründete das Gericht allein, daß die Nerven des Vaters blank lagen, nicht aber, daß seine Tat damit weniger schlimm war.
Diese differenzierte Argumentation machte das Gericht gestern wieder zunichte. Es maß die Tat eines unbeteiligten Onkels an der Strafe für den Vater. Eines Onkels, der nicht im Affekt handelte, sondern den Erlöser spielen wollte. Elke Spanner
Bericht Seite 18
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