: "Für gesamtdeutsche Verjährungsfrist"
■ Sollen DDR-Straftaten Ende des Jahres nicht mehr verfolgt werden? Der Generalstaatsanwalt beim Berliner Landgericht, Christoph Schaefgen, plädiert für Verlängerung der gesamtdeutschen Verjährungsfrist
taz: Herr Schaefgen, halten Sie eine ausschließliche Verlängerung der Verjährungsfrist für DDR- Vereinigungskriminalität für ausreichend?
Christoph Schaefgen: Nein. Ich plädiere für ein gesamtdeutsches Konzept. Denn wenn der Gesetzgeber nur die Verjährungsfristen für das vereinigungsbedingte Unrecht verlängert, schafft man eine Ungleichbehandlung. Wirtschaftskriminalität tritt aber massenhaft in beiden Teilen Deutschlands auf. Von der Sozialschädlichkeit her sehe ich da keinen Unterschied — Betrug oder Untreue bleibt in Ost und West gleich. Wenn, dann sollte die Verjährungsfrist gesamtdeutsch auf zehn Jahre verdoppelt werden.
Würde das nicht für die Staatsanwaltschaften eine enorme Arbeitsbelastung bedeuten?
Sicherlich. Deshalb wäre das Personal aufzustocken – gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist die Situation für die Ermittlungsbehörden defizitär – ob Ost oder West. Zusätzlich müßten auch die Möglichkeiten der Beweisgewinnung deutlich verbessert werden. Momentan ist es so, daß Unternehmen Teile ihrer Unterlagen in Zeiträumen vernichten können, die kürzer sind als die angestrebte Verlängerung der Verjährungsfristen (drei Jahre – die Red.).
Ende dieses Jahres verjährt auch das allgemeine DDR-Unrecht, nicht nur die Fälle vereinigungsbedingter Kriminalität. Was halten Sie vom Vorschlag des SPD-Politikers Richard Schröder, sich nur noch auf die vereinigungsbedingte Kriminaliät zu beschränken?
Das scheint vernünftig. Ich sehe keinen Berg von DDR-Unrecht mehr, der nicht ohne Verjährungsverlängerung zu bearbeiten wäre. Noch sind rund 1.300 Verfahren zum SED-Unrecht bei uns anhängig, davon 1.100 wegen Rechtsbeugung und der Rest unter anderem wegen Körperverletzung, Entführung von Gefangenen, Doping oder Aussageerpressung. Diese Verfahren werden auch über den 31. Dezember 1997 weiter bearbeitet, weil wir in diesen Fällen verjährungsunterbrechende Maßnahmen ergriffen haben oder noch ergreifen werden.
Nun argumentieren ehemalige DDR-Bürgerrechtler, gerade in diesem Bereich gebe es noch ein großes Dunkelfeld.
Das ist mir zu vage. Darauf kann man keinen Gesetzeseingriff stützen. Als Praktiker rechne ich nicht damit, daß noch sehr viele Verfahren im Bereich des allgemeinen SED-Unrechts auf uns zukommen werden. Wir haben vieles ausgewertet, und selbst aus der Gauck- Behörde ist nicht viel von Amts wegen an Straftaten an uns weitergeleitet worden. Nicht zuletzt haben die Opfer selbst schon in der Vergangenheit sehr zurückhaltend von ihrem Recht auf Strafanzeigen Gebrauch gemacht.
Bei der vereinigungsbedingten Kriminalität haben Sie aber Hoffnung, auf mehr Straftaten zu stoßen?
Das Dunkelfeld ist hier viel wahrscheinlicher. Es kann ja sehr lange dauern, bis in diesem Bereich eine Straftat, die zum Teil sehr kompliziert angelegt ist, als solche erkannt und von uns ermittelt wird. Bis zur Anklageerhebung verstreicht dann noch einmal wertvolle Zeit, bei der uns die Verjährungsfrist im Nacken sitzt. Interview: Severin Weiland
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