: Wer nicht ins Stadion geht, soll trotzdem Eintritt zahlen. Wenn künftig WM-Übertragungen nur noch gegen Gebühr im Abo-Fernsehen zu sehen sind, stehen Millionen Fußballfans im Abseits. Gelbe Karte, kontern Politiker aller Fraktionen und ford
Wer nicht ins Stadion geht, soll trotzdem Eintritt zahlen. Wenn künftig WM-Übertragungen nur noch gegen Gebühr im Abo-Fernsehen zu sehen sind, stehen Millionen Fußballfans im Abseits. Gelbe Karte, kontern Politiker aller Fraktionen und fordern Neuverhandlungen mit den Konzernen.
Pay-TV-Debatte in die Verlängerung
Vielleicht hatte Kurt Beck nur ein bißchen zu lange mit Leo Kirch zusammengesessen. „Man muß die Realitäten sehen“, hatte der rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsident und Fan des 1. FC Kaiserslautern in der vorvergangenen Woche in Mainz sein Engagement für jene Vereinbarung über Sportrechte begründet, derzufolge besonders attraktive Fußballereignisse künftig nur noch im Bezahlfernsehen zu sehen sein werden. Nur die Eröffnungs-, Final- und Halbfinalspiele bei Fußball-WM und -EM sollen davon ausgenommen sein. Schließlich: „Man muß sehen, daß da Rechte für 3,5 Milliarden Mark verkauft worden sind“, machte sich Beck Sorgen um Rechtebesitzer Kirch. Mit dem sprach er am gleichen Tag die Möglichkeiten für die Kabelverbreitung von dessen Bezahlfernsehprojekten in Pfälzer Landen durch. Doch Gutwetter bei Leo Kirch heißt derzeit Schlechtwetter bei der Fußballnation. Das muß Beck, der die Medienpolitik der Länder koordiniert, seitdem erfahren.
Auf der Woge der Empörung äußern sich Bundes- und Landespolitiker aller Fraktionen gegen die von Beck als Erfolg gefeierte Vereinbarung. Selbst Ministerpräsidenten wie Niedersachsens Gerhard Schröder (SPD) und Baden- Württembergs Erwin Teufel (CDU) gesellten sich angesichts des aufbrandenden Volkszorns zu den in Mediendingen eher schon mal quengelnden Schleswig-Holsteinern und Hessen. Dabei hatten bei der Runde in Mainz sämtliche Ländervertreter ebenso wie die Medienkontrolleure aus allen Ländern und die Vertreter der Sportverbände dabeigesessen und das karge Angebot der Konzerne angehört. Sie waren eher still geblieben.
Das könnte sich nun ändern. Wenn am Donnerstag und Freitag die Länderchefs in Stuttgart zusammensitzen, wird sich zeigen, ob die öffentliche Empörung gegen Becks Liste auch im Ministerpräsidentenkreise Wirkung zeitigt; seit nun auch der Mainzer von seiner Begeisterung nichts mehr wissen will, ist klar, daß die Vereinbarung nicht das letzte Wort sein wird. Auf ihrer Konferenz wollen die Länderchefs entscheiden, mit welchem Katalog Beck in die weiteren Verhandlungen mit den Konzernen geht – um dann Mitte Dezember zu beschließen, ob solch eine Vereinbarung reicht oder ob in der fürs nächste Jahr geplanten Novellierung des Rundfunkstaatsvertrags eine Liste freier Sportereignisse zum Gesetz wird. Auf die Umsetzung der EU-Fernsehrichtlinie, in der Brüssel den Mitgliedsländern die Aufstellung von Listen für bezahlfreies Sportglotzen ausdrücklich an die Hand gibt, will man vorerst verzichten.
Die Volksbewegung für Fernsehfußball hat ein neues Grundrecht erfunden: das Grundrecht auf freie Sicht aufs Kicken. So etwas gebe es nicht, argumentieren Vertreter des DFB wie Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU), dessen Fernbleiben bei einer Fifa-Sitzung den Verkauf der Rechte an Leo Kirch erst möglich machte; schließlich wollen die Vereine an den Erlösen kräftig mitverdienen. So argumentieren auch der Vorstandschef des Bertelsmann- Konzerns, Mark Wössner, und Kirch-Vertreter Dieter Hahn, die sich mit ihrem Sender Premiere im künftigen Digitalfernsehen große Pay-TV-Erlöse versprechen. Ein Gesetz auf freien Fußball laufe auf „Enteignung“ hinaus, sagen sie unisono. Schließlich seien Rechte deshalb für Milliarden an Kirch verkauft worden, weil er sich die lukrative Verwertung im Pay-TV versprechen konnte.
Das Grundrecht gibt es eben doch, argumentieren andere. Nicht die Konzerne würden enteignet, sondern die Fußballfans. Ein Recht auf Fußballgucken sieht auch Schleswig-Holsteins Regierungschefin Heide Simonis (SPD). Sie beruft sich auf das Grundrecht auf Informationsfreiheit. Und dieses Grundrecht sei bedroht, wenn Spiele einfach so ins Pay-TV verschoben werden. Zumindest solche Spiele, „wo aus der sportlichen Bedeutung eine gesellschaftspolitische wird“. Bei den WM-Spielen der deutschen Mannschaft sei das allemal erfüllt, ebenso bei den Länderspielen von Bertis Buben und zudem bei der Olympiade (die für die nächsten Jahre ohnehin den Öffentlich-Rechtlichen gehört) und bei den WMs und EMs der Leichtathletik. Zudem stellt sich Simonis eine „Auffangklausel“ vor, nach der ein Gremium, etwa die Medienkontrolleure, Ereignisse auch kurzfristig in den Status der Unbezahlbarkeit erheben können – wie etwa die Tour de France nach Jan Ullrichs Sieg. Faustregel: Alles, was die Nation bewegt, soll frei verfügbar sein.
Mit der Diskussion um Fußball scheint nun der Nation schlagartig klar zu werden, worum es bei den Digitalisierungsplänen der Medienkonzerne geht. „Man muß der Bevölkerung eben auch klar machen“, so Jürgen Doetz, Sat.1-Chef und Präsident des Privatfunkverbands VPRT, „daß Digitalisierung eben auch heißt: Verknappung bestimmter Programme.“ Was für Fußball gilt, gilt auch für Spielfilme, attraktive Shows und Ereignisse. Die Zuschauer sollen mehr zahlen für etwas, was es bislang ohne Extragebühr zu sehen gab. Schon signalisieren die Konzerne Verhandlungsbereitschaft, weil sie die öffentliche Diskussion scheuen. Das Problem für sie: Nur mit Fußball ist der lukrative Pay- TV-Markt überhaupt zu öffnen, sagen Experten – auch wenn Fußball-Pay-Sender in Italien und Holland eher enttäuschende Erfahrungen machten. Das Problem der Politik, die den Konzernen bei ihren Plänen gerne helfen will: Beim Fußball hört der Spaß für die Fernsehnation auf. Gerade die Standortpolitiker in Bayern und Nordrhein-Westfalen sind in der Zwickmühle – sie sitzen in den Ländern mit der größten Fußballbegeisterung. Deshalb wohl haben sich Johannes Rau (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) zum neuentbrannten Fußballstreit noch gar nicht geäußert. Lutz Meier
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