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Wird nur „Glut und Asche“ bleiben?

Zwei Neuerscheinungen versuchen sich über die Autonomen: Während Geronimo im Gewust der Bewegung hängen bleibt, verheddern sich Almut Gross und Thomas Schultze im politologischen Wissenschaftsdiskurs  ■ meint Benjamin Kaminski

Was ist von der autonomen Bewegung, die einst mit dem Slogan „Feuer und Flamme für jeden Staat“ angetreten war, außer „Glut und Asche“ noch übrig? Dies fragt sich der bekannte, unter dem Pseudonym Geronimo veröffentlichende autonome Autor in seinem neuen Buch „Glut und Asche“. Er versteht es als dritten Band seiner Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung, die von ihm 1990 unter dem Titel „Feuer und Flamme“ (inzwischen in der 5. Auflage) und 1992 als „Feuer und Flamme II“ veröffentlicht wurden.

Wie seine ersten Bücher ist auch dieses wieder mitten aus dem Handgemenge der autonomen Bewegung geschrieben. Der Leser spürt, daß der Autor bei aller Kritik und Verzweiflung an den Autonomen mit Herz und Geist dabei ist. Allerdings gerät der Text an einigen Stellen zum subjektiven Spaziergang durch die autonomen Diskussionen und Debatten.

Trotz einiger gedanklicher Schrotschüsse enthält das Buch jede Menge Diskussionsstoff. Und es ist der einzige Versuch, autonome Diskussionen in Buchform transparent und damit diskutier- und kritisierbar zu machen. Und dies wäre – laut Geronimo – die Basis der zu erkämpfenden Politikfähigkeit der Autonomen.

Nach einem zu überblätternden Vorwort wendet sich Geronimo seiner zentralen Fragestellung zu, der nach dem politischen Gehalt der autonomen Bewegung. Trotz kritischer Abarbeitung am Politikbegriff von Carl Schmitt versucht er dennoch, diesen auf die autonome Bewegung anzuwenden und zu fragen: Wo stellen sich die Autonomen der politischen Verantwortung und wo betreiben sie bloß subkulturelle (Lobby-)Politik, die nach keiner Verallgemeinerung mehr sucht? Aber kann man einen katholischen, zuvor sogar nazistischen Theoretiker der (Staats)- Macht als Meßlatte emanzipatorischer Kämpfe nutzen? Warum dann nicht gleich Machiavelli? Hat sich Geronimo wirklich so wenig Gedanken über die Macht von Diskursebenen gemacht? Auf jeden Fall ist sein Urteil über die Autonomen hart: „Nein, ein Gesellschaftsschreck sind die Autonomen nicht mehr. Statt dessen haben sie in vielen Bereichen, so sie da und dort noch öffentlich auftauchen, die Rolle des demokratischen Gewissens in diesem Land übernommen. Daß aber dieser Umstand in der politischen Praxis von Autonomen noch nicht einmal als ein Problem begriffen wird, ist eine gesellschaftstheoretische Bankrotterklärung.“

Wem Geronimos „Glut und Asche“ zu sehr aus dem Gewust der Bewegung heraus geschrieben ist, findet in dem Buch von Thomas Schultze und Almut Gross „Die Autonomen – Ursprünge, Entwicklungen und Profil der autonomen Bewegung“ ein mit sezierendem Blick geschriebenes Gegenstück. Es handelt sich dabei um die leicht überarbeitete und um ein Drittel gekürzte Diplomarbeit der beiden AutorInnen.

Nach dem geschichtlichen Hintergrund der Autonomen, dem Fordismus, dem sozialdemokratischen „Modell Deutschland“ und den Neuen Sozialen Bewegungen werden die politischen Vorläufer und realen Gründe für die Entstehung der autonomen Bewegung vorgestellt. Eine in der Auswahl etwas beliebig daherkommende Chronik von 1967 bis 1997 schließt sich an. Als wissenschaftliche Darstellungen recht gelungene Kapitel über „Selbstverständnis und Identität“, „Themen und Widersprüche“ sowie die Zeitschriften radikal, Autonomie – Neue Folge und wildcat machen den Hauptteil des Buches aus.

Alle, die eine nur kenntnisreiche, wissenschaftliche Arbeit über die Autonomen suchen, sind hier gut bedient. Die AutorInnen sind in der Lage, die wichtigsten Texte herauszufiltern und richtig zu referieren. Aber ist ein gelebter, sozialer Alltag identisch mit diesen Texten? Versperrt ihnen ihre kalt-wissenschaftliche Vorgehensweise nicht notgedrungen den Zugang zu den Widersprüchlichkeiten dieser Bewegung? Hat ein Liedtext der Punkband „Slime“ nicht viel mehr Bedeutung als ein kluges, politisches Papier? Obwohl fast alles angesprochen wird, entsteht das Gefühl, daß die AutorInnen am Thema vorbeischreiben. Sie versuchen, ein lebendiges, widersprüchliches und kämpferisches soziales Subjekt wie die Autonomen mittels des wissenschaftlichen Handwerkszeugs einer Diplomarbeit darzustellen. Dies kann nicht gelingen und ist der Grund, daß es so wenig Spaß macht, das Buch zu lesen. Die Autonomen sind hier nicht, wie das Titelbild nahelegt, im „Hamburger Kessel“, sondern im politologischen Wissenschaftsdiskurs gefangen.

An nahezu keiner Stelle verlassen die AutorInnen die Ebene der beschreibenden Darstellung. Auch die Chance eines kritischen Blicks zurück lassen sie ungenutzt. Ganz zu schweigen von dem Versuch, nach vorne gerichteten Gedanken zu entwickeln. Überhaupt nicht wissenschaftlich, aber trotzdem sehr materialreich, versucht Geronimo seine Kritik an vier ausgesuchten Beispielen aus den letzten Jahren der autonomen Bewegung zu entwickeln und zu belegen. Am besten kommt noch die von einem Erfolg gekrönte Anti- Olympia-Kampagne weg. Kritischer geht er mit der Auseinandersetzung in der autonomen und antiimperialistischen Szene mit dem Spitzel Klaus Steinmetz, der vom Verfassungsschutz an die RAF herangespielt wurde, um. Im Kapitel „Tod eines Faschisten“ beschäftigt Geronimo sich mit dem Verlauf der Solidaritätskampagne mit den verfolgten AntifaschistInnen, denen von der Justiz der Tod von Kaindl vorgeworfen wurde. Moralisch erpreßte Solidarität, der jedes kritische Wort verboten wird und das schließliche privat-individualistische Herauswinden einiger Angeklagten gegenüber dem Gericht, als Tacheles geredet wird, verbittert Geronimo noch heute.

Beim Themenkomplex „Autonomie-Kongreß und Eigensinn“ hätte sich vieles auch wesentlich kürzer sagen lassen. Unbestritten ist, daß der Autonomie-Kongreß organisatorisch ein voller Erfolg war. Nur inhaltlich haben die Autonomen Probleme, mehr als Gedanken und Fragen zu den sich neu stellenden Aufgaben am Jahrtausendwechsel zu formulieren. So wirken auch am Ende des Buches die „Ein paar Treibhölzer auf dem Weg ins 21. Jahrhundert ...“ etwas hilflos. Aber Geronimo stellt die richtigen Fragen.

In all seinen Büchern sucht Geronimo die Autonomen als politische Partei und verzweifelt daran. Dies gilt mit Einschränkungen auch für Gross/Schultze. Alle drei wollen nicht erkennen, daß es sich bei den Autonomen eher um ein soziokulturelles Milieu handelt, welches in bestimmten gesellschaftlichen Konflikten den politischen Raum betritt. Nur werden zur Zeit in der BRD diese Konflikte viel zu selten aufgemacht. Die Autonomen als politische Praxis des radikalen Blicks auf die Verhältnisse, der möglichst direkten Konfrontation mit dem ausgemachten Gegner und als persönliche Praxis des mit ihrer ganzen Existenz für ihr Anliegen einzustehen, werden bleiben. Sobald ein gesellschaftlicher Kontakt da ist, wie zuletzt die Castor-Transporte ins Wendland, steigen die Autonomen wie Phoenix aus der Asche.

Geronimo: „Glut und Asche“, Unrast-Verlag, Münster 1997, 24 DM, ISBN 3-928300-63-6

Almut Gross und Thomas Schultze: „Die Autonomen“. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1997, 28DM, ISBN 3-89458-154-9

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