piwik no script img

Reisen auf den Schwingen von Pappmaché

■ Zum Mitmachen: Am Samstag hat die MOKS-Eigenproduktion „Die Papp-Hoorn-Expedition“Premiere

Kindertheater heute. Expeditionsassistent Helfried Heft ist des Mordes am Expeditionsleiter Professor Platt angeklagt. Zu Unrecht. So dachte es sich zumindest Klaus Schumacher, der Regisseur der neuen Produktion des MOKS-Kinder- und Jugendtheaters „Die Papp-Hoorn-Expedition“. Ein humanistischer Glaube an das Schöne und Gute im Menschen, den das neun- bis zwölfjährige Publikum durchaus nicht zu teilen gewillt ist.

Seine Version von den nebulösen Vorgängen in der terra icognita des pappmachéigen Papp Horns: In einer hochexplosiven Mischung aus Sumpffieber, wissenschaftlichem Ehrgeiz und memmenhafter Furcht vor dem gesuchten/gefundenen Schabrackenpapier verwandelte sich der liebenswerte Herr Heft in ein amoklaufendes Ungetüm.

Alle Expeditionsmitglieder fielen ihm zum Opfer, außer Professor Platt. Der Urteilsspruch der jungen Pfad- und Wahrheitsfinder, die gleichzeitig – eine klassische Doppelrolle – den Part der Gerichtsschöffen zu übernehmen hatten: Freispruch für den Massenmörder! Das Verständnis für strafminderne Umstände ist der menschlichen Gattung offenbar von Natur aus eingepflanzt.

Vielleicht aber ist den jungen Geistreisenden das tödliche Schicksal des namenlosen Fußvolks einfach wurscht. Hauptsache der Boß hat überlebt.

Egal. So viel Erfindungslust entwickeln die Kids natürlich nur, weil sie von der MOKS-Crew da abgeholt werden, wo sie sich tatsächlich aufhalten: Also im Dschungel, an reißenden Flüssen, geheimnisvollen Kultobjekten. Nur dem Schein nach nämlich sind die „Menschen-um-die-Zehn“Rechtschreibsünder, Scateboardverunglücker und Glas-beim-Abwasch-Zertrümmerer. In Wahrheit handelt es sich bei ihnen schon (und noch!) immer um Zeitmaschinenerfinder, Endecker neuer Kontinente, Menschheitserretter und sexy Popstars.

Diese Wahrheit dürfen sie bei der neuen Produktion eigenständig auskundschaften. Geschichten ausfabulieren: mehr als nur ein Freizeitspaß in Zeiten, wo die märchenerzählenden Ommmas so selten geworden sind wie Schabrackenpapiere, und die kindliche Phantasie von den strammen Busenkegeln der Barbiepuppen aufgespießt und von den bis in die letzte Lianenverschlingung ausgepinselten Disneywelten umgarnt werden.

Das Timing dieser Expedition in die eigene Vorstellungswelt ist äußerst raffiniert. Im Theaterfoyer beginnen die begnadet grimassierenden Prisca Maier, Christine Ochsenhofer, Martin Leßmann und Cornelius Nieden mit gutem, alten Guckkastentheater.

Passivität ist noch erlaubt. Langsam, ganz, ganz langsam werden die Abenteuergenies aus dem Schüleralltagseintopf hervorgelockt. Die Frage nach der Uhrzeit erntet nur geringes Feedback des Publikum. Die Aufmerksamkeit der Kids will erobert werden wie eine schwerbefestigte Burg.

Vorlesen dagegen wollen sie alle gerne, auch wenns noch so holprig geht. Zeigen was man kann: da sind die Kids eben auch nicht klüger als die Erwachsenen. Nach ersten Probeinteraktionen werden die Kids durch geisterbahnige Labyrinthe geschleift. Hier dürfen sie sich pantomimisch freischwimmen, -paddeln, -fliegen. Statt aufgemotzter Bühnenbilder wollen dunkle Gänge und viel Pappe den Zugang zur Phantasie freiroden. Schließlich füllen die Kids, in drei Minigruppen gesplittet, die Gedächtnislücken der Expeditionsteilnehmer mit eigenen Schauspielerleistungen.

Das härteste Abenteuer bei dem Unternehmen haben die drei Spielleiter zu bestehen. Sie müssen die Rollen von Expeditionsherren und -knechten an bewegungsgierige, schüchterne, vorlaute, lustige oder skeptische Kinder verteilen. Selbstverständlich gehen sie kontraintuitiv vor: die Ruhigen dürfen befehlen, brave Mädchen spielen gefährliche Raubtiere.

Nach der Vorstellung dann unterhalten sich die Spielleiter noch angeregt über die Kinder und die verschiedenen Eindrücke in den Gruppen. Sie nehmen ihr Spiel sehr, sehr ernst. Genauso ernst muß Bremen sein Kindertheater nehmen. Barbara Kern

Von Montag bis Freitag dürfen nur vorangemeldete Schulklassen mitreisen. An den nächsten drei Samstagen um 17 Uhr und am 28.11., 10.30 und 17 Uhr, dürfen alle Eltern (in Begleitung ihrer Kinder) aus sich heraus gehen. Karten: 36 53 333

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen