: Zehn Sätze für ein Halleluja
■ Ulrich Wildgruber spielt dreimal Krapp, dreimal sich und ist vorzüglich: Becketts „Das letzte Band“an den Kammerspielen
Gedächtniskonserven verderben nicht. Trotzdem kann der Genuß verstaubter Aufzeichnungen zu Beschwerden führen, dafür ist Schriftsteller Krapp das lebende Beispiel. Mit seiner Gesundheit steht es nicht zum besten, seine Bücher verkaufen sich schlecht, Wohnung und Garderobe müssen auch schon bessere Tage gesehen haben. Und doch kann es der alte Mann nicht lassen: Anstatt seine Zeit sinnvoll und vergnüglich zu verbringen, sitzt er am Tisch, kramt in Schachteln und hört sich ein dreißig Jahre altes Tonband an. Die kraftvolle Stimme, die zu ihm spricht, ist er selbst. Er weiß es. Und manchmal erkennt er sich sogar wieder. Besonders in seinen schlechten Angewohnheiten, denn die hat er trotz guter Vorsätze nicht abgelegt. Alkohol, gestelzte Wörter und Bananen haben sein Leben ruiniert. Wie peinlich.
Seit Freitag spielt Ulrich Wildgruber den Krapp in den Hamburger Kammerspielen, und wer ihn noch nicht auf der Bühne gesehen hat, sollte die Gelegenheit nun nutzen. Samuel Becketts Stück Das letzte Band in der Inszenierung von Ulrich Waller bietet Wildgruber eine Paraderolle: 50 Minuten, 10 Sätze (grob geschätzt), darunter auch einige mit ausgesucht schönen Wörtern, in denen er sich nach Belieben suhlen kann. Das Wort Spule zum Beispiel. Spuuuhle heißt das in einer von Wildgrubers Fassungen. Oder Spuhuuule, mit rundem Mund und geschlossenen Augen. Der Mann gaukelt erotische Anziehungskraft von gesprochenen Wörtern so überzeugend vor, daß man vergißt, was sie eigentlich bedeuten sollen. Über andere Wörter stolpert er, schlägt sie im Lexikon nach, runzelt die Stirn und läßt die Silben, kaum hörbar, auf den Tisch purzeln.
Diese Fähigkeit, aus minimalen Vorgaben den größtmöglichen schauspielerischen Nutzen zu ziehen, ist einer der Gründe für Ulrich Wildgrubers Erfolg. Ein sehr berechtigter Grund, wie in den Kammerspielen bewiesen wird. Doch es lohnt sich auch, das Theater des Stückes wegen zu besuchen. Das letzte Band spult ein Leben ab und splittert Krapp in drei Personen auf – ein junger und ein gesetzter Mann sind im Band versteckt, und der alte geht gar nicht pfleglich mit ihnen – das heißt: mit sich – um. Er verhöhnt sich, lacht sich aus und schimpft, und manchmal tröstet er sich auch. Das ist schrecklich, komisch, ausweglos und für den Zuschauer überhaupt nicht tröstlich.
Eine Warnung vor Risiken und Nebenwirkungen der Selbstbespiegelung hat Beckett hier der Nachwelt hinterlassen, ohne irgendeine Moral zu bemühen. Der Beweis für die Sinnlosigkeit guter Vorsätze wird gleich mitgeliefert. Am besten fängt man gar nicht erst damit an.
Barbora Paluskova
bis 17. Dezember
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