: Kommerziell nutzbar
■ Porno im Fernsehen: Zwischen Landesmedienanstalten und Anbietern zeichnet sich die Vereinbarung freiwilliger Standards ab
Der Konsens war schnell gefunden: Die Debatte trete unter anderem deshalb seit Jahrzehnten auf der Stelle, weil sich ihr Gegenstand nicht gemeinsam definieren lasse, stellte der Lüneburger Medienwissenschaftler Werner Faulstich schon in seinem Eingangsreferat fest und stieß damit auf allgemeine Zustimmung. Über den Weg hin zu einer gemeinsam akzeptierten Begriffsbestimmung allerdings stritten die Fachleute im Kölner Mediapark kontrovers entspannt.
Dorthin hatte die „Gemeinsame Stelle Jugendschutz und Programm der Landesrundfunkanstalten“ eingeladen, um mit Hilfe von Fachleuten die Debatte um Pornographie im deutschen Fernsehen wieder konstruktiv voranzutreiben. Grund für die Betriebsamkeit ist der Wunsch der privaten TV-Sender, das Sexfilmangebot auszuweiten und damit vor allem potentiellen Pay-TV-Kunden neben Sport und Spielfilmen ein drittes, vermeintlich interessantes Angebot machen zu können.
Wie groß in Europa die Unterschiede in diesem Bereich schon jetzt sind, zeigten in Köln Programmbeispiele verschiedener Anbieter. Deutsche Sender wie Vox oder das Abonnementprogramm Premiere des bekennenden Katholiken und Kohl-Freundes Leo Kirch achten unter dem Druck der deutschen Vorschriften noch peinlich genau darauf, daß die Geschlechtsorgane beim ohnehin meist simulierten Verkehr nicht zu sehen sind. Die von ihnen eingekauften und entsprechend beschnittenen Filme stehen dadurch eher spießig-albern und sehr deutsch in der Tradition der Jodelpornos der 70er Jahre.
Der seinerzeit von der Mitterrand-Administration protegierte französische Privatsender „Canal+“ dagegen zeigt längst überwiegend weibliche Schambereiche in gynäkologischen Großaufnahmen. Die frühere staatliche französische Zensurbehörde CSA, die heute nur noch dem Jugendschutz dient, hat mit den Sendern eine freiwillige Selbstkennzeichnungsverpflichtung vereinbart. Die Pariser Journalistin Isabelle Bourgeois berichtete in Köln, wie das funktioniere: „Die Sender sind sehr vorsichtig und senden nichts, was nicht akzeptiert würde.“
„Bei uns wird die Debatte seit Jahrzehnten falsch geführt, deshalb kommt sie nicht voran“, analysierte Faulstich den Status quo in Deutschland. „Sie wird sachlich inkompetent geführt, weil den meisten schlicht die zureichende Kenntnis pornographischer Werke fehlt. Sie wird beklagenswert dysfunktional geführt, weil viele, die ,Pornographie‘ sagen, etwas ganz anderes meinen – Gewalt gegen Frauen oder Vergewaltigung zum Beispiel. Die Pornographie-Definition von Alice Schwarzer vertritt dieses Statthalterprinzip. Sie trifft aber nicht die ganz ,normale‘ Pornographie in den Videotheken, Pornokinos und Sexshops.“
Faulstich schlug deshalb eine Definition vor, die sich dem Gegenstand sachbezogen, wertneutral und wissenschaftlich fundiert annähert (siehe Kasten) und eine Unterscheidung in die weiterhin verbotene, jugendgefährdende harte und die unter bestimmten Bedingungen zuzulassende übrige Pornographie ermöglichen soll: „Es gibt aus kulturwissenschaftlicher Sicht keinen rational nachvollziehbaren Grund, warum ,einfache‘ Pornographie im Sinne des Gesetzgebers nicht auch im Medium Fernsehen verbreitet werden soll. Und es ist heute nicht mehr einsehbar, was gefährlich daran sein soll, daß sich Millionen Bundesbürger per Pornographie sexuell stimulieren. Pornographie im Namen einer Medienethik verbieten zu wollen, die sich auf religiöse oder sonstige private Wertmaßstäbe gründet, wäre eine kuriose Bevormundung von Millionen erwachsener Menschen. Anders verhält sich das aber bei einer Medienethik, die auf Sozialverträglichkeit fundiert ist. Kein Mensch darf einfacher Pornographie unerwartet oder unfreiwillig ausgesetzt werden. Pornographie sollte bewußt gewollt und aufgesucht werden.“
Einen Anspruch auf pornographische Filme stellte auch der ehemalige Bundesrichter Ernst G. Mahrenholz fest: „Er ist durch das Grundrecht auf Informationsfreiheit gedeckt. Es muß deshalb darum gehen, die Pornographiedebatte auf den Jugendschutz einzugrenzen. Paragraph 184 des Strafgesetzbuches und Artikel 3 des Rundfunkstaatsvertrages lassen sich so auslegen, daß sie tagsüber jede Form von Pornographie verbieten. Sie schließen aber nicht aus, daß sich Erwachsene abends ansehen können, was Jugendliche nicht ansehen sollen. Es kann also nicht um einen liberalen Pornographie-Begriff gehen, der gegen die Menschenwürde verstieße; die vorhandenen Vorschriften müssen anders ausgelegt werden.“
Ein „manipulatives Handanlegen an die Pornographie-Diskussion“ warf dem Juristen daraufhin der Direktor der Hamburgischen Anstalt für neue Medien, Helmut Haeckel, vor: „Als Kontrollbehörde müssen wir überprüfbare Kriterien zur Verfügung haben, die als Strafrechtsnorm nicht jeweils situativ angepaßt werden dürfen. Paragraph 3 des Rundfunkstaatsvertrages, der zur Zeit nur ein totales, rund um die Uhr geltendes Verbreitungsverbot für Pornographie beinhaltet und keinerlei Einschränkung durch Zeiten oder Decoder zuläßt, muß überarbeitet werden. Ich fürchte allerdings, daß für eine Neudefinition des Pornographie-Begriffes keine parlamentarische Mehrheit zu finden sein wird.“
Das ist vielleicht auch gar nicht mehr nötig. Den Vorschlag, sich unterhalb der Gesetzesebene freiwillig auf Mindeststandards zu einigen, hatte der Direktor der gastgebenden Landesmedienanstalt NRW, Norbert Schneider, schon in seiner Begrüßung gemacht. Die Jugendschutzbeauftragten von Vox, Hans-Henning Arnold, und Premiere, Ulrike Beckmann, signalisierten Zustimmung. Während Arnold dennoch auf die Notwendigkeit einer vorhersehbaren und damit wirtschaftlich kalkulierbaren gesetzlichen Grundlage verwies, betonte Beckmann, ihr Sender grenze sich bewußt von Angeboten wie denen von Canal+ ab: „Wir fühlen uns der gesellschaftlichen und moralischen Verantwortung verpflichtet.“
Es sei doch kein Zufall, daß die Pornographie-Debatte gerade jetzt betrieben werde, wo sich das Fernsehen vom Kollektiv- zum Individualmedium wandelt, hielt ihr und den beiden VertreterInnen des Kirch-Senders DF 1 ihr Kollege vom bislang einschlägig unbedarften ZDF, Landmann, entgegen und brachte die Sache auf den Punkt: „Pornographie soll genau jetzt kommerziell nutzbar gemacht werden.“ Stefan Koldehoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen