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Richter Freisler als "Kriegsopfer"

■ Kriegsgeschädigte brachten für die Gemeinschaft ein "Sonderopfer", angeblich auch NS-Kriegsverbrecher. Deswegen erhalten sie und ihre Hinterbliebenen bis heute eine Rente

Bonn (taz) – Über Jahrzehnte hinweg haben Berichte darüber, wer in den Genuß staatlicher Zusatzrenten als Kriegsopfer kommt, zu Leitartikeln und Leserbriefen geführt – so, als der Witwe von Roland Freisler, dem ehemaligen Präsidenten des Volksgerichtshofes, monatlich 400 Mark Entschädigung zugesprochen wurden. Begründung des Münchner Versorgungsamtes: Wäre Freisler nicht kurz vor Kriegsende bei einem Bombenangriff getötet worden, dann wäre er gewiß nach dem Krieg als „Rechtsanwalt oder Beamter im höheren Dienst“ tätig gewesen.

Doch litt die Empörung über diesen und andere Fälle an Kurzatmigkeit. Sie blieb folgenlos. Das änderte sich erst, als das Fernsehmagazin „Panorama“ über Heinz Barth berichtete. Der ehemalige SS-Obersturmführer gehörte zu einer Einheit, die 1944 in dem französischen Ort Oradour 642 Menschen ermordete. 500 Frauen und Kinder verbrannten bei lebendigem Leib, eingeschlossen in einer Kirche. Heinz Barth sitzt, rechtskräftig als Kriegsverbrecher verurteilt, in einem Gefängnis in Brandenburg. Weil er im Krieg ein Bein verlor, bezieht der 75jährige monatlich 750 Mark Opferrente. Dies brachte das Faß zum Überlaufen. Nun schien auch der Regierung eine Änderung des Bundesversorgungsgesetzes von 1950 überfällig zu sein. Bis dahin hatte die CDU entsprechende Forderungen der Bündnisgrünen mit einem Argument abgelehnt, das die SPD im Bundestag noch heute vertritt: Vor dem Gesetz sei jeder gleich. Der Vertrauensschutz im Sozialrecht dürfe nicht ausgehebelt werden. Rentenrecht sei kein Strafrecht.

Dabei werden die Renten für Kriegsopfer aus Steuermitteln bezahlt. Die Bezieher haben also nicht durch Beiträge Leistungsansprüche erworben, die durch die Eigentumsgarantie geschützt sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Empfängerkreis der Zusatzversorgung definiert. Er kann mithin auch entscheiden, wer einer solchen Rente für nicht würdig befunden wird.

In anderen Fällen ist das geschehen. Das Entschädigungsgesetz für die Opfer des NS-Regimes kennt eine ganze Reihe von Ausschlußtatbeständen – so verhindert die einfache Mitgliedschaft in der NSDAP eine Anerkennung als Verfolgter des Nationalsozialismus.

Kommunistische oder homosexuelle KZ-Häftlinge, zwangssterilisierte Frauen und Euthanasie- Opfer sind nur einige der Gruppen, die bis heute nicht als Opfer „typisch nationalsozialistischen Unrechts“ gelten.

Es gibt auch SPD- Abgeordnete, die Rentenzahlungen an Kriesgverbrecher öffentlich angeprangert haben. Otto Schily nannte die Alimentierung von NS-Tätern mit Steuergeldern eine „tiefe Demütigung“ der Opfer des Hitler-Regimes, von denen viele nur winzige oder überhaupt keine Entschädigungen erhielten.

1950 hatte es im Bundestag einen breiten Konsens dafür gegeben, alle Kriegsgeschädigten für das „Sonderopfer“, das sie für die Allgemeinheit gebracht hätten, unterschiedslos zu alimentieren. Bei vier Enthaltungen aus der KPD wurde das Gesetz angenommen. Kritik wurde dennoch vereinzelt laut: „Für die Naziknaben, die das verschuldet haben, hat unser Staat viel Geld parat und spendet Monatsgaben. Wir sind 'ne ungelernte Republik!“ sangen die Kabarettisten Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller.

Der Lernprozeß hat lange gedauert und ist noch nicht abgeschlossen. Die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke erklärte im Februar während einer Bundestagsdebatte zum Thema, nach geltendem Recht könne sogar Adolf Hitler Ansprüche als Kriegsopfer geltend machen. Das Protokoll vermerkt Zwischenrufe. Eckart von Klaeden (CDU): „Das ist völliger Blödsinn! Das ist wirklich so ein Stumpfsinn! Das ist das Dümmste, was heute gesagt worden ist.“ Im Januar hatte die Zeit geschrieben, Hitler könnte „als sein eigenes Opfer anerkannt werden“.

Insgesamt werden noch immer Renten in Höhe von fast elf Milliarden Mark jährlich an über eine Million Kriegsgeschädigte und Hinterbliebene gezahlt. Die Höhe der Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Opfer des Nationalsozialismus liegt jedoch bei rund 1,4 Milliarden Mark. Der Freiburger Militärhistoriker Gerhard Schreiber schätzt, daß sich in den Reihen der Kriegsrentner etwa 50.000 Kriegsverbrecher, ehemalige Angehörige von SS- Einheiten oder deren Hinterbliebene befinden.

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