: Das Recht auf 90 Sekunden
■ Der DFB fürchtet es, doch bislang hat es niemand genutzt: Heute verhandelt das Verfassungsgericht über das Recht auf Kurzberichte
So eine Unverschämtheit. „Was würden Sie denn sagen, wenn Sie 'ne Fete machen und da behauptet jemand ,Das ist ein öffentliches Ereignis‘ und kommt mit der Kamera?“ DFB-Sprecher Wolfgang Niersbach hält das Recht auf Kurzberichterstattung für Unrecht. Schon vor zehn Jahren hatten die Bundesländer bestimmt, daß jeder TV-Sender kostenlose Kurzberichte über Ereignisse zeigen darf, „die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Interesse sind“. Wenn sie regelmäßig wiederkehren wie die Fußball-Bundesliga eineinhalb Minuten.
„Neunmal 90 Sekunden rechnet Niersbach vor, „dazwischen ein paar Interviews, und man hätte eine wunderbare ,Sportschau‘“. Ein Horror für Medienkonzerne und Sportverbände, die mit den Übertragungsrechten ein so schönes Geschäft machen. Die Clubs der 1. Fußball-Bundesliga kriegen pro Saison jeweils mindestens acht Millionen Mark aus Fernsehrechten, in der 2. Liga gibt's fünf Millionen. Dagegen wäre es nach Ansicht Gerhard Mayer-Vorfelders, Chef des DFB-Ligausschusses, der „Untergang“ des Profifußballs, wenn jemand von dem Recht Gebrauch macht. Bisher hat das niemand gewagt, was zum Teil daran lag, daß die Bundesregierung in Sorge um Medienunternehmen und Fußballclubs vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt hat (siehe Kasten). Heute hören die Karlsruher Richter Parteien und Experten an, bis zum Frühjahr soll es ein Urteil geben. Das könnte auch die Frage klären, die zuletzt für Aufregung sorgte: Darf die Politik die Medienkonzerne trotz der Exklusivverträge zwingen, bestimmte Spiele im frei empfangbaren Fernsehen und nicht im Pay-TV zu zeigen? Und: Wie weit geht das Eigentumsrecht der Rechtekäufer?
Abgesehen von einem kurzen Versuch der kleinen Privatsender n-tv und RTL 2, den der DFB per Eilverfügung vereitelte, hat bisher kein Sender, auch nicht die ARD, das Recht in Anspruch genommen. „Wir haben eine bewußte Konfrontation mit dem DFB vermieden“, sagt NDR-Intendant Jobst Plog. Gegen die Drohung mit den Kurzberichten setzte der DFB sein eigenes Horrorszenario: kein Wohlverhalten mehr? Dann gibt's auch keine Rechte für Länderspiele und DFB-Pokal, wenn sie 1999 neu verkauft werden. Zudem könnten die Vereine versuchen, die ARD-Hörfunkreporter aus den Stadien auszusperren.
Derlei Ängste führten dazu, daß die ARD im letzten Jahr wieder zu Kreuze kroch und für sogenannte Nachverwertungsrechte über 15 Millionen Mark an die Rechtebesitzerin ISPR (Kirch/Springer) abdrückte. Dafür ließ sie sich genau vorschreiben, wann sie wie viele Minuten bringt. Man zahlte also Millionen für weniger, als das Recht garantiert. Für den Schmusekurs mit dem DFB sind vor allem der Bayerische und der Mitteldeutsche Rundfunk, während etwa WDR-Intendant Fritz Pleitgen regelmäßige Kurzberichterstattung androht, zuletzt gestern im Spiegel.
NDR-Intendant Jobst Plog denkt nicht, daß der bisherige Verzicht auf das Recht ein Fehler war. Jedoch: „Die Situation ändert sich fundamental dadurch, daß jetzt Bertelsmann und Kirch alle attraktiven Spiele im Pay TV verschwinden lassen wollen – die Bundesliga eingeschlossen.“ Sollte der Gesetzgeber nicht eingreifen, schaffe das eine „gänzlich neue Situation“. Georg Löwisch
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