: Der Islam soll es bringen
Der Prozeß um die Sprengstoffanschläge der „Antiimperialistischen Zellen“ begann gestern mit einer stundenlangen Erklärung des Angeklagten zum Islamismus ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Draußen, vor dem Sondergebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, riefen die mit Maschinenpistolen bewehrten Polizeibeamten gestern die Erinnerung an spektakuläre Terrorismusverfahren wach. Doch drinnen, im fensterlosen Gerichtssaal, war alles ganz anders. Ruhig und geduldig warteten dort die beiden 30jährigen Angeklagten Bernhard Falk und sein Freund Michael Steinau darauf, vom Gerichtsvorsitzenden Ottmar Breidling das Wort erteilt zu bekommen.
Die Bundesanwaltschaft wirft den beiden vor, als Mitglieder der „Antiimperialistischen Zellen“ (AIZ) in den Jahren 1994/95 an sechs Sprengstoffanschlägen auf Parteibüros von CDU und FDP, Privatwohnungen von CDU-Bundestagsabgeordneten sowie auf das peruanische Honorarkonsulat in Düsseldorf beteiligt gewesen zu sein. Mit „potentiell tödlichen aktionen“, wollten die AIZ, so hieß es seinerzeit in den Bekennerschreiben, dort zuschlagen, „wo die brd-eliten wohnen/arbeiten“. Ein Kurs, der selbst im linksradikalen militanten Spektrum auf harte Kritik stieß. Als dann auch noch die AIZ in ihrem letzten Bekennerschreiben davon schwärmten, man habe den „Islam als revolutionäre Waffe in voller Schärfe und Schönheit“ kennengelernt, kam es vollends zum Bruch.
Gestern suchte Bernhard Falk seinen politisch-religiösen Sinneswandel zu erklären: in einem stundenlangen Vortrag über die Ausbeutung der „trikontinentalen Welt“, über Islamismus und Antiimperialismus, der „sich natürlich in erster Linie an die Linke“ richtete. Dabei blieb Falk im Ton auch bei den größten Ungeheuerlichkeiten moderat. Etwa, als er den Massenmord der Nazis an den Juden „als ein Verbrechen von singulärem Charakter“ zu relativieren suchte. Formulierungen, die ahnen lassen, was sich hinter der freundlichen Fassade verbirgt.
Immer wieder berief sich Falk in seiner 100seitigen Erklärung auf das Testament des früheren iranischen Revolutionsführers Khomeini. Als die „gefährlichsten Staaten der Welt“ geißelte er „die USA, die BRD“ und den „zionistischen Staat Israel“. Vorbildfunktionen sprach er dagegen Iran, Sudan und Libyen zu.
Noch zu Honeckers Zeiten hatte sich Falk um eine Umsiedlung in die DDR bemüht. Später wandte er sich dann der linken Szene zu: „Ich habe die linksautonomen Zusammenhänge ganz bewußt kontaktiert“. Sie erschienen ihm „attraktiv und lebendig“, doch schon bald empfand er die Szene als „eine Art Durchlauferhitzer für 15- bis 25jährige“ – ohne Kontinuität. Auch der Marxismus-Leninismus überzeugte den Physiker nicht: „Keine ausreichende Problemlösungskompetenz“. Die erwartet er nun vom Islam.
Zu den eigentlichen Tatvorwürfen schwieg sich Falk gestern aus. Erst durch eine satellitengestützte Überwachung des Autos von Michael Steinau waren beide ins Blickfeld der AIZ-Fahnder geraten. Doch außer Indizien haben die Ankläger nicht viel zu bieten. Auch über die Struktur der AIZ ist so gut wie nichts bekannt. Noch kurz nach der Verhaftung der Angeklagten Anfang 1996 hatte der Hamburger Verfassungschef Ernst Uhrlau über „30 bis 50 Personen“ im Umfeld der AIZ spekuliert. Nun scheint die Gruppe den Anklägern auf eine Zwei-Mann-Guerilla geschrumpft.
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