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„Tariftreue erzwingt man nicht durch Anpassung“

■ Otto König, Vorstandsmitglied der IG Metall, über Tarifflucht, die Erosion des Flächentarifvertrags und über Möglichkeiten von Sondervereinbarungen zur Beschäftigungssicherung, etwa durch Lohnverzicht

taz: Herr König, die Metallarbeitgeber wollen den Flächentarifvertrag durch Betriebsklauseln „ergänzen“, um die Regelungskompetenz für einen Teil des Lohnes und für die Arbeitszeit in die Betriebe zu verlagern.

Otto König: Eine solche Politik wird die IG Metall mit Sicherheit nicht mitmachen.

Wenn Sie sich nicht auf die Arbeitgeber zubewegen, droht sich die Tarifflucht noch zu verstärken.

Ich halte die These, daß wir als Gewerkschaft durch eine Politik der betrieblichen Öffnungsklauseln die Tarifflucht und damit die Erosion des Flächentarifvertrages stoppen könnten, für grundfalsch. Das ist eine Fiktion. Man kann die Arbeitgeber doch nicht durch Anpassung, Durchlöcherung und Entkleidung des Tarifvertrages zur Tariftreue bringen. Der Flächentarifvertrag regelt Mindestbedingungen, die wir nicht unterschreiten sollten.

Das Beispiel der ostdeutschen Härtefallklauseln, die eine Absenkung des Tarifniveaus für wirtschaftlich bedrängte Unternehmen eröffnen, ist keine Fiktion. Ohne diese Regelung, das räumt inzwischen auch IGM-Vize Walter Riester ein, sähe es im Osten noch viel düsterer aus.

Die Härtefallregelung gilt doch nur für Betriebe, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befinden und quasi vom Konkurs bedroht sind. Für solche Fälle haben wir auch in den westdeutschen Tarifverträgen die Möglichkeit von Sondervereinbarungen zur Beschäftigungssicherung festgeschrieben. Dazu gehören zur Not auch Lohnverzichte, sofern sie in ein Sanierungskonzept eingebettet sind. Wir dürfen aber nicht zulassen, daß Betriebsleitungen mal eben den Lohn um 10 oder 20 Prozent senken, nur um sich einen Konkurrenzvorteil zu verschaffen. Das würde eine gefährliche Abwärtsspirale in Gang setzen. Ich brauche als IG-Metall-Ortsbevollmächtigter für den wirtschaftlichen Notfall kein neues Instrument. Ich kann sofort einen Abänderungstarifvertrag abschließen und damit für eine bestimmte Zeit tarifvertragliche Regelungen außer Kraft setzen.

Die IG Chemie hat im Tarifvertrag für Betriebe die Möglichkeit eröffnet, bis zu 10prozentige Lohnsenkungen zu vereinbaren. Nicht nur für konkursbedrohte Unternehmen, sondern auch zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Dabei hat die Gewerkschaft ein Vetorecht. Ist das für Sie schon der Sündenfall?

Ich halte eine solche Regelung für fatal. Über diesen Weg den Flächentarifvertrag halten zu wollen kommt dem Versuch gleich – wie es ein Kollege treffend ausgedrückt hat –, einen beschädigten Deich in stürmischer Zeit nicht durch das Stopfen der Löcher, sondern durch Absenkung des Deiches retten zu wollen. Kein Deichgraf käme auf eine solche Idee.

Auch in der IG Metall werden Modelle diskutiert, um zu betriebsnäheren Lösungen zu kommen. Neben sogenannten Tarifbausteinen oder tariflichen Wahlmöglichkeiten sind auch betriebliche Zusatztarifverträge im Gespräch.

Wenn solche Modelle auf die Mindestbedingungen festlegenden Tarifverträge aufbauen und zur Lösung des seit Jahren aufgestauten inhaltlichen Reformsbedarfs gedacht sind, können sie durchaus Sinn machen. Etwa, um ein auf die betriebliche Situation abgestimmtes Bausteinsystem zur Gruppenarbeit zu schaffen. So verstanden, hielte ich das für eine gute Fortschreibung und Weiterentwicklung von Tarifpolitik. Das könnte man auch durch einen Zusatztarifvertrag lösen, den dann betriebliche Verhandlungskommissionen unter Einschluß der gewerkschaftlichen Vertrauensleute auszuhandeln hätten.

Die Arbeitgeber wollen viel weitergehende Kompetenzen für die Betriebe. Da die IG Metall den Flächentarifvertrag nur zusammen mit den Arbeitgebern retten kann, muß sie schon mehr bieten als das, was Sie vorschlagen.

Gesamtmetall hat vor zwei Jahren ja schon mal mit der Selbstauflösung des Verbandes gedroht. Wie könnten wir darauf reagieren? Ganz bestimmt nicht durch Selbstauflösung unserer Organisation. Nein, dann stünden wir vor der Situation, Betrieb für Betrieb Haustarifverträge erkämpfen zu müssen. Ich glaube nicht, daß die Arbeitgeber diese Perspektive als besonders attraktiv erachten. Ich sehe eine solche Entwicklung auch nicht. Bei allem Gerede über die Tarifflucht geht manchmal unter, daß in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie nach wie vor fast 80 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden arbeiten.

Vor zehn Jahren waren es noch 90 Prozent.

Ja, aber ich glaube nicht daran, daß sich das System auflöst. Bei den regionalen Arbeitgeberverbänden verspüre ich im Gegenteil ein deutliches Interesse, mit der IG Metall zu verhandeln.

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