: "Der Herr möchte zahlen?"
■ Hundert Zeilen Kuhlbrodt: Manchmal irritiert es ein bißchen, wenn alles so schön zusammenpaßt. Wie im Nieselregen zwischen Friedrichstraße und Berliner Dom. Das macht einen dann fast nervös
Weil es auf dem Fahrrad zieht, ist der Winter die Zeit des Spaziergängers. Während die instrumentelle Vernunft des Fahrradfahrers zielversessen nichts wahrnehmen möchte auf dem Weg von A nach B, gibt es für den Spaziergänger eigentlich nichts Schöneres, als sich treiben zu lassen. Ab und an schaut man erstaunt die Dinge an, die an einem vorbeitreiben, verliert sich dann wieder ein bißchen in Gedanken, denkt ein wenig ans Internet, das man sich gerade gekauft hat, und steht plötzlich in der Friedrichstraße vor einem Leierkasten, vor dem ein Leierkastenpärchen Berliner Schlager aus den zwanziger Jahren singt. Das paßt durchaus zum Nieselregen. Dann verliert eine Touristin ihre kleine Kamera, und ein Mann läuft ihr hinterher und gibt sie ihr zurück. Tatsächlich direkt vor dem Haus der Demokratie! Ein Schlag ins Gesicht der hiesigen Berlin-Feinde.
Unter den Linden fährt ein gelber Bus mit blauen Streifen an der Deutschland-vs.-Skandinavien- Ausstellung vorbei. Der Bus kommt aus Schweden. Manchmal irritiert es ein bißchen (mächtig, gewaltig und prächtig), wenn alles so schön zusammenpaßt. Das macht einen dann fast nervös. Dann blinkt ein Satz im Kopf, um gelesen zu werden: „Nieselregen ist ganz wunderschön und ohne Zweifel eine große Bereicherung.“
Das Schild vor dem Palast der Republik allerdings deutet auf naßforsch-dumme Siegermentalitäten: Da geht es um die „Asbestbeseitigung“ im „Ehemaligen Palast der Republik“. Ehemalig!!! Erst machen sie ihn dicht, dann stehlen sie ihm auch noch seinen Namen. Unerhört ist das und ganz und gar nicht im Sinne ost-westlichen Verständnisses!
Im Berliner Dom gib es am Samstag das „Deutsche Requiem“ von Brahms. „Denn alles Fleisch / es ist wie Gras“ und so. Große Klasse! Wenn man sich das konkret vorstellt, sieht das aus wie ein Splatterfilm aus den wilden Achtzigern, deshalb knipst man die Vorstellung aus und geht in den Dom, der übrigens sehr schön aussieht und auch eine hervorragende Akustik hat; das heißt, es hallt da wunderbar, was viele Musiker sehr stört. Manche sprechen sogar von der „schlechtesten Akustik auf der Welt“.
Zwei Hütchenspieler vom Alex sitzen auch im Gestühl. „Gott ist“ übrigens „ein Geist, und die, die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Jeden Tag um 12 und 18 Uhr gibt es hier Andachten; Orgelmusik ist auch sehr geeignet, in Wintertagen gute Stimmung zu verbreiten. Versuchsweise und um mehr junge Leute in den Dom zu locken, sollte man vielleicht ein Smiley ins „O“ der Orgelmusik malen. Die „Lebensberatung“ im Dom ist m.E. übrigens auch sinnvoller als etwaige „Lesbenberatungen“. Nach erfolgreich absolvierten „Lebensberatungen“ zieht man dann ins stets überfüllte Operncafé; wegen dem Kuchen und um zu gucken, was Touristen so machen, und weil auch Sätze wie „Der Herr möchte zahlen?“ irgendwie bezaubern können. Andererseits geht es auch den Betreibern des Operncafés immer nur ums Geld! Deshalb haben sie die Tische so eng zusammengestellt, daß es unmöglich ist, konzentriert Zeitung zu lesen. Detlef Kuhlbrodt
wird fortgesetzt
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