: „Ich wollte das ruhige Leben nicht“
■ April 1945. Ein Gefreiter bringt wahllos fast 200 Menschen um: „Der Hauptmann von Muffrika“, ein Porträtversuch (So., 22 Uhr, 3sat)
April 1945. Willi Herold, ein 19jähriger Gefreiter, irrt ziellos durch Norddeutschland. In einem Straßengraben findet Herold die ordengeschmückte Uniform eines Hauptmanns. Sie paßt ihm wie angegossen. Das Nazireich ist in Auflösung begriffen, aber militärische Hierachien haben noch Bestand. Auf seinem Weg durchs Emsland schart Herold versprengte Soldaten um sich. Als er im Mai von den Briten gefangengenommen wird, haben sie fast 200 Menschen umgebracht. Wahllos, willkürlich.
Das ist die Kerngeschichte, die Paul Meyer und Rudolf Kersting in ihrem Film „Der Hauptmann von Muffrika“ (1996) zusammengetragen haben, die lakonische Schilderung eines Mannes, den mit anderen die Lust am Töten verband. Herold war kein Ungeheuer, dem man die Brutalität am Gesicht ablesen konnte. Auf einem der wenigen Fotos von ihm ist ein Mann mit weichen, noch kindlichen Zügen zu sehen. Im Prozeß, der mit seiner Hinrichtung durch die Briten im August 1946 endete, antwortete Herold auf die Frage, warum er einmal nach Amerika auswandern wollte: „Ich mochte das ruhige Leben nicht, ich wollte was erleben.“
Unaufdringlich und ruhig lassen Meyer und Kersting ihre Zeitzeugen zu Wort kommen. Männer und Frauen zwischen Leer und Papenburg, einem Landstrich im Emsland, den manche Bewohner wegen seiner Ödnis schlicht „Muffrika“ nennen. Andere hätten die Taten der Herold-Truppe akribisch seziert, mit soldatischem Gehorsam, Brutalisierung durch den Krieg, der vorangegangenen Erziehung unter der NS-Herrschaft und anderem begründet. Die Autoren aber hielten Distanz. Wohl weil sie wußten, daß Erklärungen manchmal eher der Verschleierung dienen. Die Taten Herolds aber entziehen sich jeder Psychologisierung. Sie stehen für sich, in ihrer schlichten, einfachen Entsetzlichkeit. In einem Strafgefangenenlager für Wehrmachtssoldaten etwa ließ Herold Männer erschießen, andere lebendig begraben. Wie es ihm eben gefiel: aus Spaß, nach jeweiliger Tageslaune. Abends feierte die Truppe und betrank sich. Severin Weiland
Im Anschluß an die Sendung läuft ein Interview mit den Autoren.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen