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Urteil offenbart eine Beziehungskrise in Karlsruhe

■ Der Erste Senat hält sich mit seinem Beschluß nicht an die Vorgaben des §218-Urteils

Bis vorgestern war klar: Das Bundesverfassungsgericht ist dagegen, daß für ungeplant geborene Kinder Schadenersatz eingeplant werden kann. 1993 hatte dies der Zweite Senat in seinem 218-Urteil eindeutig zum Ausdruck gebracht. Seit gestern gilt nun exakt das Gegenteil, denn der Erste Senat entschied: Es verstößt nicht gegen die Wertordnung des Grundgesetzes, wenn pfuschende Ärzte auch für die aus ihrer Fehlleistung folgenden Unterhaltskosten aufkommen müssen.

Der Zweite Senat hatte wohl frühzeitig von der geplanten Abweichung der KollegInnen Wind bekommen und versucht, die Spaltung aufzuhalten. In einem Beschluß von Ende Oktober wird die Einberufung des Plenums, also einer Art Vollversammlung der RichterInnen, gefordert. Doch der erste Senat ignorierte den Beschluß. Seine Begründung: Das Plenum müsse nur angerufen werden, wenn ein Senat von Aussagen des anderen Senats abweichen will, die ein Urteil „tragen“ und nicht nur nebenbei und quasi auf Vorrat hingeschrieben wurden.

Nun behauptet der Zweite Senat, seine Aussagen zum „Kind als Schaden“-Problem seien für das 218-Urteil tragend. Doch genau dies bestreitet der Erste Senat. Und weil er in diesem Fall zuständig ist, kann er den Einspruch der KollegInnen übergehen. Es gibt keine Instanz mehr, die schlichten könnte. Das gestrige Urteil des BVerfG ist damit rechtskräftig.

Der Erste Senat gilt als liberaler, weil der vierte „CDU-Sitz“ hier regelmäßig von der FDP besetzt werden darf. Auch im Streit mit dem Zweiten Senat fielen die Beschlüsse im Ersten mit 5 zu 3 Stimmen. Mißtrauisch ist der Zweite Senat wohl auch deshalb, weil es bald zu einer Wiederholung dieses Konfliktes kommen kann. Falls der Erste Senat das bayerische Verbot spezialisierter Abtreibungskliniken aufheben will, müßte er wieder von einer „Nebenbemerkung“ des 218-Urteils des Zweiten Senats abweichen. Christian Rath

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