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Das reicht zum Abtanzen

Oder ein netter Abend mit Jürgen Kuttner: Die bisher als Geheimtip gehandelte Kneipenszene in Friedrichshain entwickelt zusehends Niveau, sowohl was die Quantität betrifft als auch in punkto Qualität. Ein zugegebenermaßen recht subjektiver Überblick  ■ Von Andreas Hergeth

Freunde wollten meinen Prophezeiungen nie Glauben schenken: Eines Tages wird Friedrichshain genauso angesagt sein wie Prenzlauer Berg oder Kreuzberg. Schon lange wurden die alten Kneipen wie „die tagung“, die „Tilsiter Lichtspiele“ oder das „Filmriß“ als Geheimtips gehandelt, und den neuerdings wie Pilze aus dem Boden schießenden diversen dazugekommenen Etablissements im Bezirk geht es ähnlich. Jetzt, wo selbst die Berliner Zeitung gemerkt hat, daß hier die Post abgeht, wollen alle unbedingt in Friedrichshain ausgehen.

Ist ja auch eine feine Sache. Schlendert man die Wühlischstraße entlang, kommt man aus dem Gucken gar nicht mehr heraus. Da reihen sich das „Beluga“, das „Treskow“ und das „Haché“ sowie „die tagung“ mit dem „cube club“ dicht an dicht. Ein paar Meter weiter das „mittendrin“, eine Musikkneipe, und daneben gleich noch eine, das „Palmenhain“. Einige Schritte und mal keine Szenekneipe, denn „Bei Helga und Marina“ geht es noch Eckneipen-mäßig zu.

Dann ist man auch schon in der Knorrpromenade gelandet. Rudimente eines Tores. Knorrige Weiß- oder Rotdornbäume (im Frühling wissen wir mehr), die die kleine Straße säumen, in der die vielleicht interessanteste neue Location zu finden ist: die „Knorre“.

Genau das hat hier noch gefehlt: Ein multifunktionales Haus mit einem höchst abwechslungsreichen Veranstaltungsplan. Plus Restauration. Die trägt den Namen „Morgenstern“, gleich aus mehreren Gründen. Inhaber Arndt Richter mag Christian Morgenstern, außerdem die Rittersleut' – und irgendwie klingt es gut. Nach Erfolg. Dem Morgen entgegen, ein guter Stern weist den Weg usw. So wie die Leuchter auf den tafelähnlichen Tischen. Da haben die Handwerker ganze Arbeit geleistet. Stühle, Tresen, Deko-Elemente (Zwitter aus Ritterrüstung und Tierschädeln), der Wandteppich mit Fabelwesen und Burgfräulein – alles so ritterlich mittelalterlich, als ob jeden Moment Highlander persönlich durch die Tür kommen könnte. Kommt er aber nicht, dafür seit der offiziellen Eröffnung Anfang Dezember viele Leute aus dem Kiez und anderen Bezirken. Nicht nur zum feinen Speisen. Denn die Kunst lockt.

„Noch befinden wir uns in der Testphase“, sagt Arndt Richter. „Wir bieten viel und sehen, was gut ankommt.“ Da hat der junge Mann, der auch im „Abgedreht“ (gegenüber dem Kino Kosmos) und dem „Blue Label“ (neben dem Filmtheater Friedrichshain) den Hut aufhat, bislang ein glückliches Händchen bewiesen. Nur die klassischen Adventsnachmittage und der Abend mit Zigeunermusik floppten. Ansonsten hatten die Massen (bis zu 250 passen hinein) ihren Spaß im Ball- und Konzertsaal. Der Raum hat eine sechs Meter hohe Decke, eine Balustrade zum prima Draufstehen und Runterschauen und ist Kinosaal, Tanzbar und Kleinkunstbühne in einem. Für den Januar haben sich Lucilectric (unplugged), Bluesmusiker Robert B. Jones, Jean Pacalat, Lift und andere angesagt. Im Schnitt zwei Konzerte finden hier pro Woche statt. Weil es noch Probleme mit der Lärmdämmung gibt, die aber bald behoben sind, spielen die Schnitter noch im Jugendklub um die Ecke. Freitags und samstags heißt es im Ballsaal „Tanz- Bar“. Noch geht es etwas ruhig zu. Doch ist der Lärmschutz perfekt, können die Lautstärkeregler bis auf 90 Dezibel aufgedreht werden. Das reicht zum Abtanzen.

Konzerte sind also das eine Standbein. „Wir wollen aber kein zweiter ,Franz-Klub‘ sein“, macht Richter klar, der mit seinen langen Haaren und seinem spitzen Bärtchen selbst ein wenig ritterlich daherkommt.

Also Kleinkunst. Monatlich gibt es eine Lesung und eine Theateraufführung. Am 24. Januar zeigt die freie Gruppe „in vivo“ ihr Stück „Alles ich undoder einsame Grausamkeiten“. Sechs Tage später präsentiert Gerhard Gundermann alte und neue Stücke und liest aus seinen Lieblingsbüchern vor. Mitte des Monats wird die erste Ausstellung in der Foyer-Galerie namens „Markt-Café“ eröffnet, neben Restauration und Ballsaal der dritte Bereich der „Knorre“. Florin Tuc, Maler und Musiker aus Rumänien, der seit einigen Jahren in Berlin lebt, zeigt eine kleine Auswahl seiner Arbeiten.

Die „Knorre“ ist auch eine gute Adresse für Cineasten. Neben einem monatlichen Dokumentarfilm heißt es einmal die Woche Kult-Kino. Da sind im Januar u. a. David Bowie in „Absolute Beginners“, „Die Zauberflöte“ (Schweden 74) und in der Andy-Warhol- Filmnacht gleich drei Streifen – „Flesh“, „Bad“ und „Dracula“ – des Meisters zu sehen. Und für die lieben Kleinen flimmert jeden Sonntagmorgen ein Film über die Leinwand, für schlappe zwei Mark Eintritt.

Und „Knorre“-Macher Richter hat noch viele Ideen in petto. Vielleicht stehen bald auch Puppenspiel für groß und klein, Diskussionsrunden mit Politikern, Helge Schneider oder Sessions mit Thomas Putensen auf dem Veranstaltungsplan. Oder ein netter Abend mit Jürgen Kuttner. Mit dem hat Arndt Richter mal zusammen in der „Bolschewistischen Kurkapelle“ auf der Bühne gestanden.

„Knorre“ in der Knorrpromenade 2, Friedrichshain

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