: Angeklagte JVA-Beamte bezeichnet sich selbst als Opfer ihrer Kollegen
■ Knast-Prozeß: Die belastenden Aussagen seien ein Racheakt, weil sie sexuelle Übergriffe abgewehrt und angezeigt habe
Als einen „regelrechten Spießrutenlauf“hat die Justizvollzugsbeamtin Sandra B. ihren Job im Gefängnis Oslebshausen gestern vor dem Amtsgericht beschrieben. Sie sei permanent sexuell belästigt worden, und zwar sowohl von ihren Kollegen als auch von den Gefangenen, gab die junge Frau zu Protokoll. Der Beamtin wird vorgeworfen, sie habe Ende 1996 Zellentüren und Duschräume aufgeschlossen, damit die vier mitangeklagten Häftlinge Sexualstraftäter verprügeln konnten.
Sandra B., die von einem Kollegen schwer belastet wird, bestreitet die Vorwürfe. „Ich sehe das als Racheakt“, sagte sie gestern vor Gericht. Sie habe zwar die Türen aufgeschlossen, räumte sie ein. Von den Mißhandlungen habe sie jedoch nichts bemerkt. Auf der Station sei es zum Tatzeitpunkt „sehr hektisch“zugegangen, da etwa 50 Gefangene frei herumgelaufen seien.
Für die von der Angeklagten behaupteten sexuellen Übergriffe gibt es tatsächlich eine Reihe von schriftlichen Belegen. Einer ihrer Kollegen wurde 1993 im Rahmen eines Disziplinarverfahrens in die JVA-Bremerhaven versetzt, weil er beim nächtlichen Hofgang versucht hatte, Sandra B. mit den Worten: „Laß' uns mal schöne Sachen machen“gewaltsam in das Schulgebäude zu zerren. Der Beamte kehrte jedoch schon wenige Wochen später zurück nach Oslebshausen.
„Dann ging alles von vorne los“, erinnerte sich Sandra B. Sie sei von Kollegen und Gefangenen „angegrapscht“worden. Selbst der Abteilungsleiter hätte es „nicht unterlassen“können, ihr einen „Klaps auf den Hintern“zu geben. Doch ihre Meldungen an den Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff, der inzwischen Vormundschaftsrichter ist, seien stets im Sande verlaufen. Hoff hatte im Zuge des Bremer Knast-Skandals seinen Posten aufgeben müssen.
In der Akte werde seine Klientin „als männermordende Bestie beschrieben, die in aufreißender Kleidung durch die Gänge getobt“sei, sagte auch ihr Anwalt. „Damit sich die Schöffen mal ein Bild davon machen können, was meine Mandantin aushalten mußte“, verlas er die schriftlichen Beschwerden von Sandra B. 1994 beschwerte sie sich gemeinsam mit zehn weiteren Kolleginnen bei der Wirtschaftsverwaltung über die zu enge Uniform. Die Blusen seien „leicht durchsichtig“, klagten die Beamtinnen. Doch obwohl auch der Personalrat und die Frauenbeauftragte eine Kopie erhielten, sei nichts geschehen. Ein Häftling würde ihr in „Pulli und String-Tanga“gegenübertreten, klagte Sandra B. 1993 in einer Meldung. Kurz darauf drohte ihr ein anderer Häftling: „Wenn ich draußen bin, fick ich dich tot“. Ein als hochgefährlich geltender Gefangener schrieb an die Beamtin: „Liebe Sandra, ich denke nur an Dich. Warum bist Du so abweisend?“
Zwei Vermerke aus den Jahren 1995 belegten, daß sich seine Mandantin sogar für die Häftlinge eingesetzt hätte, führte der Verteidiger von Sandra B. weiter aus. Sandra B. hatte eine Rangelei zwischen Gefangenen gemeldet, die sie aufgelöst habe. Darüber hinaus hatte sie die rassistischen Äußerungen eines Häftlings gegenüber Mithäftlingen gemeldet.
Der Staatsanwalt zeigte sich von der Aussage der Beamtin sichtlich überrascht. Warum sie in ihren früheren Aussagen die Übergriffe nicht erwähnt hätte, wollte er wissen.
„Das ist keine Sache, die man gerne erzählt“, antwortete Sandra B. Ihre Beschwerde gegen den Kollegen, der versucht habe, sie in das Schulgebäude zu zerren, hätte aber „doch gewirkt“, erwiderte der Staatsanwalt. „Es hat das Gegenteil bewirkt“, sagte Sandra B. Aufgrund ihrer Beschwerden hätte sie sich nur noch unbeliebter gemacht. Ihre Arbeit sei immer mehr zum „Spießrutenlauf“geworden.
Der Prozeß wird fortgesetzt
kes
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