: „In obrigkeitsstaatlicher Tradition“
■ Jürgen Karwelat kritisiert den Senat wegen Umbenennung der Grünfläche am Gorki Theater in „Platz der Revolution von 1848“
taz: Der Senat hat entschieden, den Platz zwischen der Neuen Wache und dem Maxim Gorki Theater den Namen „Platz der Revolution von 1848“ zu geben. Ist die „Aktion 18. März“ zufrieden?
Jürgen Karwelat: Ein klares Nein. Damit können wir nicht zufrieden sein. Das ist eine Maßnahme in obrigkeitsstaatlicher Tradition.
Von oben wird nun gesagt, wie an die März-Revolution zu erinnern ist. Schließlich hatten die Bezirksverordnetenversammlungen Mitte und Tiergarten sich bereits darauf geeinigt, den „Platz vor dem Brandenburger Tor“ umzubenennen.
Zumindest gibt es nun aber einen Ort, wo an die Revolution von 1848 erinnert wird.
Das ist richtig. Problematisch ist aber das Verfahren und der Ort. Man hat einfach eine grüne Fläche mit einigen Bäumen zwischen einigen Gebäuden genommen, zum Platz erklärt und benannt. Das ist in Berlin üblich, aber auch übel, weil es eben kein richtiger Platz ist.
Nun argumentiert der Senat, an diesem Ort, im angrenzenden Gorki Theater, hätten sich damals die Revolutionäre getroffen.
Der Anknüpfungspunkt ist, daß sich im Gorki Theater, das früher die Singakademie war, die preußische Nationalversammlung getroffen hat.
Das waren aber nicht unbedingt die Revolutionäre, die im März und speziell am 18. März in Berlin das preußische Königtum erschüttert haben und die demokratischen Freiheitsrechte erkämpften. Wir wollten hingegen mit unserer Platzbenennung erinnern an das Volk von Berlin, das damals aktiv war — also eine Volksaktivität in das Gedächtnis der Stadt bringen. Wir wollten nicht an ein Parlament erinnern, das eine indirekte Folge dieser Volksrevolte am 18. März 1848 war und dort erst etliche Wochen später zusammentrat.
Warum vermittelt sich der Charakter eines Volksaufstands am Brandenburger Tor klarer?
Dieser Platz wäre einmal besser geeignet, weil er ein sehr exponierter Platz ist. Außerdem wird dort eine gute gedankliche Verbindung zur Straße des 17. Juni hergestellt, die direkt auf den Platz des 18. März führen würde.
Beide Daten haben sehr viel miteinander zu tun. Es sind beides Daten, an denen die Berliner ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und gegen den Obrigkeitsstaat gekämpft haben. Einmal gegen den preußischen Obrigkeitsstaat und 1953 gegen die erstarrte SED-Bürokratie.
Schwingt beim Senat Scheu vor der Volksgewalt mit?
Ich glaube, daß die Landesregierung Schwierigkeiten hat, an ein Ereignis zu erinnern, das ungeplant, spontan, blutig und brutal war. Das war ein Straßenkampf, bei dem über 200 Menschen ihr Leben verloren. Das ist schwieriger, damit umzugehen, als mit einem ordnungsgemäß gewählten Parlament, das gesittet debattierte.
Jürgen Karwelat ist Mitglied der „Aktion 18. März“ und der Berliner Geschichtswerkstatt.
Interview: Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen