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Vergewaltigung wird zur "Nötigung"

■ Pilotverfahren vor dem Landgericht wegen Vergewaltigung in der Ehe endete mit drei Jahren Haft für angeklagten Maurer. Vorsitzender Richter wies in der Urteilsbegründung auf die Mängel des neuen Sexualst

Das Urteil wird für Zündstoff sorgen. Erstmals seit der Reform des Sexualstrafrechts ist in Berlin gestern ein Ehemann mit drei Jahren Haft bestraft worden, der seine Frau vergewaltigt hatte.

Obwohl die Richter der Strafkammer davon überzeugt waren, daß der 34jährige Maurer seine Ehefrau unter großer Gewaltanwendung zum Geschlechtsverkehr gezwungen hatte, wurde dieser „nur“ wegen sexueller Nötigung verurteilt. Der Vorsitzende Richter Walter Neuhaus begründete dies damit, das im vergangenen Juli reformierte Sexualstrafrecht habe keine andere Wahl gelassen: Das Strafmaß für Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sei zwar deutlich angehoben worden, „aber die Formulierung des Tatbestands wurde verniedlicht“. Die frauenbewegten Abgeordneten der Grünen und SPD hatten lange darum gekämpft, daß eine Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird. Während der außerehelich erzungene Beischlaf laut Paragraph 177 Strafgesetzbuch (StGB) mit 2 bis 15 Jahren Haft bestraft werden konnte, konnte ein Ehemann, der seine Frau vergewaltigte, lediglich wegen Körperverletzung und Nötigung verurteilt werden. Seit der Strafrechtsreform im Sommer 97 ist dies anders: Im neuen Paragraph 177 mit der Überschrift „sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“, wird nicht mehr unterschieden, ob eine Vergewaltigung unter Eheleuten oder Nichtverheirateten begangenen wurde.

Die Richter der 38. Strafkammer hätten den verheirateten Maurer deshalb also ohne weiteres wegen Vergewaltigung verurteilen können, taten dies jedoch nicht. Der Grund: Sie hielten den Mann für „vermindert schuldfähig“ und mußten ihn deshalb wegen des weniger schweren Tatbestandes der „sexullen Nötigung“ verurteilen.

Die Grundlage dafür hatte der psychiatrische Sachverständige vorgegeben. Neben der alkoholischen Beieinflussung bei der Tat hatte der Gutachter Holger K. große Minderwertigkeitsgefühle gegenüber seiner intellektuell überlegenen Frau bescheinigt. Aufgrund dieser Schuldminderungsgründe konnte das Gericht sein Urteil nicht auf den Absatz 3 des Paragraphen 177 stützen, der den Tatbestand der Vergewaltigung regelt. Der Paragraph sei so gefaßt, daß beim Vorliegen von Schuldminderungsgründen eben der Absatz 1 zum Tragen komme, in dem die Taten, unabhängig von ihrer Begehungsart, als sexuelle Nötigung bezeichnet würden.

Mit einer Androhung von mindestens einem und maximal 15 Jahren ist der Strafrahmen für sexuelle Nötigung zwar deutlich verschärft worden – früher war fünf Jahre die Obergrenze. Aber die Überschrift „Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ führe „zu Mißverständnissen“, übte der Vorsitzende Richter Kritik am Gesetzgeber. Die Folge: Statt des Begriffes „Vergewaltigung“ stehe im Urteil und im Strafregister bei vermindert schuldfähigen Tätern künftig somit nämlich nur noch das Wort „sexuelle Nötigung“. Plutonia Plarre

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