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Trügerische Hoffnung auf Verfassungshüter

■ Verfassungsklagen gegen den Lauschangriff haben wenig Chancen. Karlsruhe stellt die Strafverfolgung im Zweifel vor die Pressefreiheit

Freiburg (taz) – Noch hoffen die Gegner des Großen Lauschangriffs auf ein Veto des Bundesrats. Den Kampf um Privatsphäre und Berufsgeheimnisse wollen Journalisten-, Ärzte- und Anwaltsverbände aber selbst bei einer erneuten Niederlage nicht verloren geben. Sie haben angekündigt, notfalls in Karlsruhe um die Wahrung abhörsicherer Arbeitsbedingungen zu streiten.

Die prominentesten Organisationen in der Klagefront sind der Deutsche Anwaltverein, der Deutsche Journalistenverband und der Hartmannbund, eine ärztliche Berufsvertretung. Sie haben sich bereit erklärt, Musterklagen einzelner Mitglieder zu unterstützen. Die Nachverhandlungen von SPD und Regierungskoalition hatten die Hoffnung enttäuscht, daß Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte von staatlichen Abhöraktionen ausgenommen werden. Ein generelles Lauschverbot gilt laut Gesetz nur für Abgeordnete, Priester und Strafverteidiger.

Der Gang nach Karlsruhe könnte allerdings auf sich warten lassen, wenn die Verbände erst gegen konkrete Lauschangriffe klagen wollen. Es kann Jahre dauern, bis Polizei oder Geheimdienste die Betroffenen über einen Lauschangriff gegen sie informieren.

Um eine schnelle Klärung in Karlsruhe zu ermöglichen, könnten die Verfassungskläger auch direkt gegen die Änderung der Strafprozeßordnung vorgehen. Das juristische Argument lautete in diesem Fall: Das Vertrauensverhältnis zu Ärzten, Anwälten und Journalisten leidet schon durch die bloße Möglichkeit eines Lauschangriffs. Verfassungsrechtlich relevant wäre das wohl nur im Hinblick auf die Presse. Denn deren Funktionsfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts „schlechthin konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung“. So könnte es die Wächterfunktion insbesondere der investigativen Presse stark beeinträchtigen, wenn sich Informanten, die inkognito bleiben wollen, aus Angst vor Lauschangriffen nicht mehr in Redaktionsräume trauen.

Bei Anwälten und Medizinern dürfte sich eine Vorabklage hingegen schwierig gestalten. Schließlich nützt das Vertrauensverhältnis hier in erster Linie dem Mandanten oder Patienten. Er soll sich angstfrei offenbaren können. Den Schaden einer Vertrauensstörung und damit die Grundrechtsbeeinträchtigung hat also weniger der Anwalt oder Mediziner, sondern der Mandant oder Patient. Im Hinblick auf die Grundrechte von Rechtsanwälten und Ärzten müßte deshalb wohl wirklich auf einen konkreten Lauschangriff gewartet werden.

Eine zulässige Klage ist nur ein erster Schritt zum (wenig wahrscheinlichen) Erfolg in Karlsruhe. Am besten dürften wohl die Aussichten von Journalisten-Klagen sein, da die Pressefreiheit stärker ausgestaltet ist als die Berufsfreiheit, auf die sich die beiden anderen Berufsgruppen berufen müssten. Allerdings hat Karlsruhe bereits in früheren Entscheidungen die „unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung“ über die Pressefreiheit gestellt. „Der Gesetzgeber ist weder gehalten noch steht es ihm frei, der Presse- und Rundfunkfreiheit absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Gemeinschaftsgütern einzuräumen“, heißt es in einem Urteil aus dem Jahr 1988. Damals hatte das ZDF gegen die Beschlagnahme von Filmaufnahmen nach einer gewalttätig verlaufenen Demonstration geklagt und in allen Instanzen – inklusive Verfassungsgericht – verloren. Die Aufklärung schwerer Straftaten habe Vorrang, so das Verfassungsgericht, die Vertraulichkeit journalistischer Arbeit könne „nicht umfassend“ gewährleistet sein.

Hoffnung der Lauschangriffsgegner: Bei dieser Entscheidung ging es um selbstrecherchiertes Material, während ein Lauschangriff gerade auf den Kontakt zu Informanten zielt. Immerhin hatte das Verfassungsgericht in der juristischen Aufarbeitung der Spiegel- Affäre der 60er Jahre noch erklärt, daß das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus dem Grundgesetz folge. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht wird durch den Lauschangriff allerdings nicht abgeschafft, sondern „nur“ unterlaufen. Der Journalist kann vor Gericht zwar schweigen, statt dessen wird jedoch ein Band mit seinen Gesprächen vorgespielt. Derartiges ist leider nichts Neues. Auch die Telefonüberwachung und der Einsatz von V-Leuten höhlen das Zeugnisverweigerungsrecht aus – bislang mit dem Segen der Verfassungshüter.

Vermutlich wird Karlsruhe die Lauschangriff-Kläger mit einem Verweis auf die strikte Verhältnismäßigkeit der Mittel vertrösten. Diese allerdings ergibt sich nicht nur aus der Verfassung, sondern steht bereits im Gesetz. Gerade wenn Kanzleien, Arztpraxen und Redaktionen abgehört werden, muß ein Gericht die gewonnenen Erkenntnisse noch einmal genau prüfen. Sind die Informationen besonders wichtig, dürfen sie trotz der unterlaufenen Vertrauensverhältnisse im Strafprozeß verwertet werden, so das Gesetz. Daß Karlsruhe weitergehende Anforderungen aufstellt, ist eher unwahrscheinlich.

Weil fast nur noch über die Sorgen von Ärzten, Anwälten und Schreiberlingen geredet wird, übersieht man häufig, daß auch andere Unbeteiligte in ihrer Wohnung abgehört werden dürfen – zumindest wenn die Vermutung besteht, daß dort auch ein Verdächtiger verkehrt. Immerhin geht es dann sogar um die Privat- und Intimsphäre und nicht „nur“ um Arbeitsräume. Falls die Verfassungsänderung gelingt, sind Verfassungsklagen hiergegen dennoch ziemlich aussichtslos. Denn die Änderung von Artikel 13 müßte dann als „verfassungswidriges Verfassungsrecht“, etwa als Verstoß gegen die Menschenwürde, entlarvt werden. Das aber gab's noch nie – nicht einmal bei der Demontage des Asylrechts. Alle befragten Verbände hoffen deshalb noch auf die politische Diskussion im Bundesrat. Wird die (Grund-)Gesetzänderung verhindert, muß man auch nicht dagegen klagen. Christian Rath

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