: Wenn der Rechtsstaat spielt
Nach 25 Jahren Hamburg soll ein Türke abgeschoben werden, der sich weigert, um Erlaubnis für sein Hiersein zu bitten ■ Von Elke Spanner
Die deutsche Bürokratie ist nicht nur gründlich, sie setzt sich manchmal sogar gegen das Recht durch. Denn nur was verbrieft ist, hat Gültigkeit, und was nirgends steht, hat eben keine. Deshalb droht dem Türken Tekin Sengül nun die Abschiebung aus Hamburg. Nicht etwa, weil er kein Recht hätte, sich in der Stadt aufzuhalten. Das steht ihm auch nach Auffassung der Ausländerbehörde zweifelsfrei zu. Sondern weil er sich weigert, sich das schriftlich bescheinigen zu lassen und einen Antrag auf seine Aufenthaltserlaubnis zu stellen.
Mit der „notwendigen Sensibilität“wolle man die Angelegenheit behandeln, hatte der Leiter der Ausländerbehörde, Ralph Bornhöft, beteuert, als Sengül im Mai 1997 seinen Boykott der Ausländerbehörde erklärte (die taz berichtete). Majestätisch beleidigt schrieb er dem 29jährigen nun höchstpersönlich einen Brief. Sengül habe die „Spielregeln des Rechtsstaates“verletzt. Daß diese jedoch nicht gemeinsam ausgehandelt, sondern von der Ausländerbehörde alleine festgelegt werden, versucht Sengül dem Amt nun seit einem Dreivierteljahr zu verdeutlichen. Es sei gerade „im Interesse der Demokratie“, so seine Überzeugung, „dem Staat seine Grenzen zu zeigen“.
Das aber sieht Bornhöft anders. Schriftlich klärt er den sturköpfigen Türken nun darüber auf, daß er sein Amt angewiesen habe, das „rechtlich vorgeschriebene Verfahren einzuleiten“. An dessen Ende könnte, wie Ausländerbehördensprecher Norbert Smekal gestern bestätigte, die Abschiebung des Türken stehen, der 25 seiner 29 Lebensjahre in Hamburg verbracht hat.
Gerade weil er sein Leben hier verbracht hat, weigert sich Sengül, um Erlaubnis dafür zu fragen, ob er dies auch weiterhin dürfe. Bislang hatte er sich diese in Form der Aufenthaltserlaubnis brav und regelmäßig abgeholt – mit schriftlichem Antrag, der Beibringung zahlreicher Unterlagen und dem regelmäßigen Schlangestehen vor der Ausländerbehörde. Nun pocht er auf sein „natürliches Recht, hier zu leben“. Denn „ich finde es falsch“, schrieb er im Mai vorigen Jahres an Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD), „wenn es für Ausländer wie mich – die der zweiten oder dritten Generation aus Gastarbeiterfamilien – gesetzliche Regelungen gibt, welche eine Ausweisung zur Folge haben können“.
Mittlerweile scheint eine einvernehmliche Lösung kaum noch möglich. Die „notwendige Sensibilität“der Ausländerbehörde bestand nämlich darin, darauf zu warten, daß Sengül zur Einsicht kommen und das umstrittene Antragsformular reumütig unterzeichnen werde. Seither sind acht Monate vergangen, „in denen er sich illegal hier aufgehalten hat“, betont Smekal und begründet damit, wieso man das Recht auf Aufenthaltserlaubnis nun ohnehin ganz neu prüfen müßte.
Für Sengül ändert das nichts: „Ich werde mich nicht als Ausländer verwalten lassen.“
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