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Stadtplanung wie in Schilda

■ Von der behindertenfreundlichen Stadt, die Bremen zur Expo darstellen will, ist es noch ein weiter Weg / Auch beim Umbau des Bahnhofs werden Chancen vertan

Horst Frehe, Sprecher der Gruppe „Selbstbestimmt Leben“, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Wenn die angeblich behindertenfreundliche Stadt – wie sie für die Expo 2000 in Bremen geplant ist – schon am Bahnhof aufhört, werden wir ein solches Konzept nicht unterstützen.“In der Sitzung des Beirates Mitte machten am Montag abend Behindertenverbände gegen behindertenfeindliche Planungen in der Innenstadt mobil.

Vor allem die Umgestaltung des Bahnhofvorplatzes geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. Annette Paul vom Blindenverein berichtete von Konflikten mit der Baubehörde: 40 Zentimeter tiefe Grüneinlassungen seien geplant, die zur Stolperfalle werden könnten. Kaum zu unterscheiden werde der Bodenbelag von Straße und Fußgängerbereich sein. Am schlimmsten aber sei das Fehlen eines Leitstreifens. „Uns wurde gesagt, wir könnten vergessen, daß ein Blindenleitstreifen vom Bahnhofsausgang bis zur Straßenbahn gebaut wird.“Doch ohne Streifen, so Paul, würde die Orientierung auf dem großen Platz fast unmöglich gemacht. Ortsamtsleiter Robert Bücking berichtete, daß er gehört habe, die Leitstreifen seien der zuständigen Staatsrätin Ulla Luther schlicht zu häßlich.

Die Baubehörde widersprach den Vorwürfen. „Wir wollen schon mehr für die Behinderten machen, als der Gesetzgeber fordert“, sagt Thomas Wedrich, Pressesprecher bei der Bauverwaltung. „Aber die Forderungen der Behinderten sind uns zu hoch.“Ein drei Zentimeter hoher Bordstein zwischen Straße und Fußgägerbereich sei baulich nicht machbar. Auch sei die geforderte Tiefe der Einfräsung auf dem Leitstreifen – je tiefer, desto leichter spürbar - mit der Baubehörde nicht machbar. Warum? Wedrich räumt ein: „Vielleicht haben auch ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt.“Am Ende des Monats wollen sich Senatsverwaltung und Behindertenvertreter noch einmal treffen, um nach Kompromissen zu suchen.

Doch die Behindertenvertreter hatten in der Beiratssitzung noch mehr Kritik auf Lager. Denn auch in jüngster Zeit wurden wieder Gebäude fertiggestellt, die es Behinderten schwer machen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Selbstbestimmt-Leben-Aktivist Frehe kündigte an, daß er sich eine Besuch der umgebauten Kunsthalle mit Gästen verkneifen wird: „Am Haupteingang ist beim Umbau kein rollstuhlgerechter Zugang gebaut worden. Mir wäre es mit Gästen peinlich, den Hintereingang benutzen zu müssen, weil ich Rollstuhlfahrer bin.“Außerdem sei für viele Rollis der Hang zu steil, den man auf dem Weg hinters Haus herunterrollen muß.

Die Liste der neuen Verfehlungen ist länger: auch die neue Teerhofbrücke ist aus Rolli-Sicht ein Schildbürgerstreich. Zuerst muß ein Schlüssel für den Fahrstuhl besorgt werden. Doch der Fahrstuhl führt nur auf die Brücke. Zum Weserufer haben die Behinderten mit dem Fahrstuhl keinen Zugang, die vorhandenen Rampen sind wie beim Museum zu abschüssig.

Auch Ampelknöpfe seien für Rollstuhlfahrer oft zu hoch. Die Domsheide ist wegen vieler Ecken und Kanten ein „Hindernisrennen“. Und die Bischhofsnadel wird zum Hindernis, wenn man nicht laufen kann. Die Liste, die Frehe präsentierte, war noch viel länger.

All das sind Planungsfehler, die in den Augen der Behinderten hätte verhindert werden können, wenn sie rechtzeitig an der Planung beteiligt worden wären. Der Beirat Mitte kündigte seine Unterstützung bei den Forderungen der Verbände an und will sich auch in der Bürgerschaft für behindertengerechte Stadtplanung stark machen.

Christoph Dowe

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