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Lübecker Brandstifterprozeß beginnt

■ Vor zwei Jahren brannte die St.-Vicelin-Kirche ab. An der Wand prangten Hakenkreuze. Ein mutmaßlicher Täter steht vor Gericht

Lübeck (taz) – Christian P. wirkt wie ein Schuljunge im Matheunterricht, der nach außen den Anschein aufrechterhält, anwesend zu sein, und doch vor sich hinträumt. Seine Anwältin blockt alle Fragen nach seiner politischen Einstellung ab, ebenso jegliche Aussage zur Sache. So bringt der 20jährige nicht mehr zur Sprache, was er seinerzeit der Polizei zu Protokoll gegeben hatte: daß er „rechtsradikal“ sei und in der Nacht auf den 15. Mai 1997 die katholische St.-Vicelin-Kirche in Lübeck abfackelte. Seit gestern muß sich Christian P. wegen schwerer Brandstiftung und der Verwendung verfassungswidriger Symbole vor der Jugendkammer des Lübecker Landgerichts verantworten.

Die Chronik vermutlich rechtsradikal motivierter Anschläge in Lübeck ist lang. 1994 versuchten junge Männer aus der rechten Szene, eine jüdische Synagoge in Brand zu setzen. Ein Jahr später wurde ein zweites Mal an der Synagoge gezündelt. 1996 starben beim Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft zehn Menschen. Im Mai 1997 brannte dann die St.- Vicelin-Kirche restlos aus. Neben Hakenkreuzen hatten die Täter mehrfach „Harig“ auf die Mauern gemalt – den Namen des Pastors einer evangelischen Nachbargemeinde, der einer algerischen Familie Kirchenasyl bot.

Mittlerweile hat Christian P. sein Geständnis widerrufen. Doch drei Wochen nach dem Brand hatte der Gärtnerlehrling ausgesagt, er habe mit Leuchtspurmunition Campinggasflaschen in Brand gesetzt, die in einem an die Kirche angrenzenden Schuppen gelagert waren. Von dort habe das Feuer auf die Kirche übergegriffen. Gesondert wird gegen seinen jüngeren Bruder und einen Freund ermittelt, die den Namen Harig und die Hakenkreuze auf die Mauern gemalt haben sollen.

Er sei rechtsradikal, habe Christian P. gesagt, wie ein Polzeibeamter gestern bestätigte. Ob er denn überhaupt wisse, was das bedeute, habe er den 20jährigen daraufhin gefragt, und der habe genickt: „Ja. Das ist mehr als rechtsextrem.“ Das wertete der Polizist nicht etwa als aufschlußreichen Hinweis zum Tathintergrund. Wohl fühle sich Christian P. als Skinhead, und mit Freunden habe er öfter „Deutschland den Deutschen!“ gerufen. Auch sei er mit zwei der Polizei bekannten Neonazis bekannt. Dennoch, so der Polizist gestern: „Ich habe den Eindruck, da steckt nicht viel dahinter.“

Schon im Vorfeld des Prozesses hatten die Ermittler die politische Selbsteinordnung des 20jährigen eher runtergespielt. Er sei in keiner neonazistischen Gruppe organisiert, hatte der Leiter der Polizeidirektion Lübeck, Tabarelli, betont und sprach deshalb von einer „unreflektierten politischen Ideologie“, die Christian P. „aufgeschnappt hätte“. Auch für den Sprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft, Schultz, handelte der 20jährige aus einer „dumpfen, unreflektierten ausländerfeindlichen Grundhaltung auf der Grundlage von Parolen wie ,Ausländer raus!‘“. Elke Spanner

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