Analyse: Nur Theaterdonner
■ Trotz Drohung will sich Moskau mit den USA wegen des Irak nicht anlegen
Manche Überschrift, vor allem US-amerikanischer Zeitungen, erinnerte gestern an den Kalten Krieg. „Rußland beschimpft USA wegen Irak-Politik“, titelte die International Herald Tribune über die Kritik von Verteidigungsminister Igor Sergejew gegenüber seinem Amtskollegen William Cohen an Washingtons Plänen für militärische Aktionen gegen den Irak. Die New York Times sprach etwas zurückhaltender von einer „verblühten Romanze“. Und die Washington Post druckte eine groß aufgemachte „Exklusivstory“ über angebliche B-Waffen-Geschäfte zwischen Moskau und Bagdad aus dem Jahre 1995 und die Bespitzelung der UNO-Waffeninspekteure durch russische Agenten.
Aus Wahrnehmung von Moskauer UNO-Diplomaten sind diese Story und das Timing ihrer Veröffentlichung das Werk der „Spin“-Doktoren in Pentagon und State Department und darauf angelegt, die Regierung Jelzin in der Irak-Debatte weiter in die Defensive zu drängen. Es war vor allem diese Story, die Sergejew gegenüber Cohen deutlicher werden ließ, als dieser erwartet hatte. Und die Story provozierte auch die gestrige offizielle Erklärung des Moskauer Außenministers, keine der bislang vom UNO-Sicherheitsrat verabschiedeten Irak-Resolutionen biete eine völkerrechtliche Grundlage für einen Militärschlag gegen den Irak.
Doch diese öffentlichen Äußerungen sind Theaterdonner. In der Substanz hat sich am Verhältnis zwischen den beiden Regierungen nichts geändert. Die öffentliche Ankündigung Sergejews, ein Militärschlag der USA gegen den Irak werde zu einer „Verschlechterung der militärischen Beziehungen zwischen Moskau und Washington führen“, wurde im privaten Gespräch mit Cohen weder wiederholt noch konkretisiert. Es ist nicht auszuschließen, daß ein US-Militärschlag die Chancen für die Ratifizierung des StartII-Vertrages durch die Duma verschlechtert. Nach der erneuten Erklärung zur fehlenden völkerrechtlichen Grundlage für einen Angriff hat Moskaus UNO-Botschafter keine Anweisung erhalten, Generalsekretär Annan und die UNO-Rechtsabteilung um eine Stellungnahme zu ersuchen, über diese Frage im Sicherheitsrat mit den USA zu diskutieren und notfalls eine Abstimmung zu erzwingen. Moskaus Bereitschaft, sich wegen des Irak ernsthaft mit Washington anzulegen, war nach Darstellung russischer Diplomaten schon vor Beginn der jüngsten Krise „äußerst gering“. Nachdem Bagdad die Regierung Jelzin blamierte, indem es Zusagen an russische Unterhändler kurz darauf dementierte, ist Rußlands Geduld mit dem Irak weiter gesunken. Andreas Zumach
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