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Topographie des Wandels

Die Frau mit der Kamera ist Berenice Abbott. Ihr Foto zeigt das neue New York. Als Berenice Abbott 1929 aus Paris in die Vereinigten Staaten zurückkehrt, verblüfft und fasziniert sie der zweite große Wolkenkratzerboom der Stadt, der sie – wie viele andere Bohemiens – Anfang der zwanziger Jahre den Rücken gekehrt hatte. Es wird ihre fixe Idee, das sich so rasant verändernde New York fotografisch festzuhalten.

Berenice Abbott geht den Plan einer systematischen Erfassung von Straßenzügen, einzelnen Gebäuden und Plätzen nicht ohne Vorbild an. In ihrem Pariser Gepäck führt sie nämlich den Nachlaß von Eugène Atget mit sich, der das Paris der Jahrhundertwende in Tausenden von Fotos dokumentiert hatte. Sie ist es auch, die dem von den Surrealisten entdeckten Fotografen in unermüdlicher Arbeit zu seinem postumen Ruhm verhilft.

Mit ihrem Plan allerdings, „in Manhattan zu tun, was Atget in Paris getan hat“, muß sie selbst bis 1935 warten. Dann endlich finanziert ihr die von Roosevelt ins Leben gerufene Works Progress Administration (WPA) das Projekt. 305 Fotografien wählt sie schließlich für das von ihr geplante Buch „Changing New York“ aus. Als es 1939 erscheint, enthält es aber nur 97 Fotografien. Jetzt, da in diesem Jahr Abbotts 100. Geburtstag zu feiern ist, hat das Museum of the City of New York erstmals das gesamte Bildmaterial veröffentlicht. Über 400, teils noch nie veröffentlichte Fotografien, topographisch nach Stadtvierteln zusammengestellt, mit Stadt- und Lageplänen, Gebäudebeschreibungen und Kommentaren zu den Entstehungsbedingungen versehen, lassen das New York der dreißiger Jahre wiedererstehen. Ein New York „ohne falschen Glamour“, ein New York, auf dessen neue Seite sich Abbott schlägt, ohne Angst davor zu haben, daß der echte Glamour des Neuen ihrer Fotografie die Schau stiehlt. Allerdings sitzt das Neue tatsächlich inmitten des Alten, des Pittoresken, das die Fotografie liebt. Dazu besaß ja Abbotts eigene Fotografie gleichfalls den Glanz des neuen Stils – „exakt, sauber, präzise“ (Pierre MacOrlan). In der deutschen Ausgabe erschien der Prachtband bei Schirmer/Mosel und kostet 148 Mark. BW

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