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Umfangreiche Hilfe in psychischer Notsituation

■ Jugendämter geben Rechtshilfe und vermitteln Heimplätze für junge Mütter. Doch die Regeln in den Heimen sind nicht unumstritten. Und Hilfsangebote greifen erst, wenn Schwangere sich melden

Schwanger mit 14, 15, 16 Jahren – in Berlin ist das keine Seltenheit. Jedes Jahr bringen hier minderjährige Mütter rund 400 Kinder zur Welt. Tendenz, gerade in den unteren Altersgruppen, steigend. Waren 1994 noch 16 der jugendlichen Mütter unter 15 Jahren, so lag ihre Zahl 1995 bereits bei 20 und im Folgejahr bei 28. In der neuen Rolle als (werdende) Mutter fühlen sie sich meist gleich zu Beginn der Schwangerschaft überfordert: Wie soll es weitergehen mit Schule oder Ausbildung? Wer kommt für den Unterhalt auf? Im Einzelfall, so die Charlottenburger Jugendamtsleiterin Uta von Pirani, sei für die jungen Frauen jedoch vor allem die Reaktion von Eltern und Schule wichtig.

Wer als werdende Mutter unter 18 Rat und Hilfe sucht, kann sich sowohl an die Jugendämter als auch an die Sozialmedizinischen Dienste oder die Beratungsstellen freier Träger wenden. Bei den Jugendämtern bekommen die jungen Frauen zum Beispiel rechtliche Hilfe, wenn eine Vaterschaft nachgewiesen werden muß. Auch einen Unterhaltsvorschuß kann das Amt, wenn nötig, leisten. Zudem hilft es bei der Suche nach einer Wohnung oder vermittelt einen Platz in einem Mutter-Kind- Heim. Oder die jungen Frauen lassen sich nur beraten – kostenlos, und wenn gewünscht auch anonym, wie Uta von Pirani betont.

Doch die Schwangeren müssen von sich aus an die Beratungsstellen herantreten, und genau das tun viele nicht. „Manche haben einfach Angst“, erklärt von Pirani. Andere wüßten nichts von den Beratungs- und Hilfsangeboten. Auch in der Schule müßte „Minderjährige und Schwangerschaft“ viel mehr thematisiert werden, fordert die Jugendamtsleiterin.

Denn Jugendliche können in extreme psychische Notsituationen geraten, ganz gleich, ob sie aus schwierigen oder behüteten Verhältnissen stammen. Orientierungslosigkeit und Gefühlsschwankungen, aber auch kindliche Konflikte, vor allem bei „pubertären Müttern“, hat Gertrud Reuter-Lessing, Leiterin des vom Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk getragenen Mutter- Kind-Hauses in Steglitz, häufig erlebt: „Die werdenden Mütter möchten eine Familie – und verwechseln die eigene Verantwortung mit der Geborgenheit, die sie einerseits dem Kind geben sollten, andererseits jedoch auch selbst in Anspruch nehmen möchten.“

Sowohl im Mutter-Kind-Haus in Steglitz als auch im Weddinger Mutter-Kind-Projekt des Vereins Zukunft Bauen e.V. geht es deswegen vor allem um die Entwicklung von Persönlichkeit und Selbständigkeit der jungen Frauen. In den von den Jugendämtern geförderten Heimen leben die Mütter größtenteils in selbstverwalteten Gemeinschaftswohnungen.

„Zu wenige werden in eigenen Wohnungen betreut“, kritisiert Judith Pfennig, Jugendhilfeplanerin beim Bezirksamt Prenzlauer Berg. Denn in den Heimen wird die Selbständigkeit der jungen Frauen ihrer Meinung nach oft beschnitten: „Die Entscheidung, ein Baby zu bekommen, ist schon sehr erwachsen.“ Daß die jungen Frauen im Heim nicht mit den Vätern zusammenwohnen können, bedeute oft einen Rückschritt, meint Pfennig. Auch sei eine 19jährige mit Baby oft „keine junge Mutter mehr“.

Die Befürworter der Mutter- Kind-Projekte betonen dagegen, daß die Heimregeln im Grunde genommen denen einer Familie entsprechen und den Jugendlichen den nötigen Halt geben. Betreut durch feste Ansprechpartnerinnen, sollen die jungen Frauen Bewußtsein und Verantwortung als Mütter entwickeln – und durch Gemeinschaft mit anderen Teenagern auch ab und zu mal wieder selbst ein Kind sein können. „Damit dienen wir auch dem Wohl der Kinder“, erklärt Elke Hespelt, stellvertretende Heimleiterin in Steglitz. Doch egal, wie das Hilfsangebot im Einzelfall aussieht. Für Jugendamtsleiterin Uta von Pirani steht vor allem eins fest: „Junge Eltern müssen zu uns kommen, bevor massive Probleme auftreten.“ Kerstin Marx

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