: Sufismus statt Suff
■ Ekstatische Gotteserfahrung: „Jenseits aller Worte. Sufismus – Der unbekannte Islam“. Eine Dokumentation (Sa., 20.45 Uhr, arte)
Manchmal scheint es, als seien bei der Festlegung von Sendeplätzen doch irgendwelche Hintergedanken im Spiel. Oder sollte es wahrhaftig Zufall sein, daß just an diesem Wochenende, wo man längs des Rheins in närrische Raserei verfällt, arte mit einer (vom rheinischen WDR verantworteten!) Reportage über den Sufismus daherkommt? Um zwischen Sufismus und neuzeitlich karnevalistischem Suff irgendwelche Gemeinsamkeiten aufzutun, müßte man freilich schon ganz tief im religionspsychologischen Schatzkästlein kramen. Obwohl... Sei's drum.
Sufismus ist jene islamische Mystik, die für rund eine Milliarde Moslems wesentlicher Bestandteil ihrer Religion, aber hierzulande kaum bekannt ist. Schließlich wird das westliche Bild des Islam in erster Linie durch jene (Minderheit von) orthodoxen Fundamentalisten geprägt, die für die Errichtung ihres Gottesstaates über Leichen gehen, Frauen in (resp. aus) der Öffentlichkeit unter den Schleier verbannen oder Männer dazu bringen, ihren amerikanischen Ehefrauen die Töchter wegzunehmen.
Thomas Giefer und Ahmad Taheri zeigen in ihrer Dokumentation ein gänzlich anderes Bild des Islam. Männer und Frauen, die in Kairo zu Trommelklängen gemeinsam (!) tanzend in Trance verfallen, Derwische in Pakistan, die zur Erreichung desselben Ziels auch ein Pfeifchen Marihuana nicht verschmähen, 1,5 Mio. Gläubige, die im Rahmen einer sinnenfrohen Massenwallfahrt in eine senegalesische Stadt einfallen und eine türkische Gemeinde, wo vor dem rituellen Tanz erst einmal der Anisschnaps die Runde macht. Spirituelle Techniken und Facetten einer ekstatischen, unmittelbaren Gotteserfahrung, die das rationale Christentum seit knapp 2.000 Jahren („Am Anfang war das Wort...“) nicht mehr zu bieten hat. Und da können unsere verdummten Sinnsucher noch so lange kosmische Nudeln futtern oder Glöckchen klingeln lassen: Esoterik- messen auch nicht.
Vergangene, kollektiv-religiöse Vorstellungsorientierungen lassen sich nun mal weder reanimieren noch privat „im kleinen Kreis“ simulieren. Da bleibt uns Wessis kaum mehr als fasziniertes Staunen ob solcher Bilder. Oder, öh, vielleicht doch noch der Karneval? Von wegen kollektiv ritualisierter Außerkraftsetzung des Bewußtseins und so. Aber Kontingenz- und Gotteserfahrung!? Doch glaubt es einem rheinischen Anrainer: Getrommelt wird hier, daß es auf keine Kuhhaut geht, und spätestens ab Mitternacht stieren die Leute ziemlich jenseitig und wortlos vor sich hin. Reinhard Lüke
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