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"Die SPD wird bezahlen müssen"

■ Interview mit Michaele Hustedt, umweltpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, über rot-grüne Aussichten nach der Bundestagswahl: "Keine Koalition ohne ökologische Steuerreform"

taz: Wann wird eine rot-grüne Bundesregierung zum ersten Mal die Mineralölsteuer deutlich heraufsetzen?

Michaele Hustedt: So schnell wie möglich. Wir wollen insgesamt die Energiekosten erhöhen und dafür die Lohnnebenkosten senken. Das ist ja auch Bestandteil der SPD-Programmatik. Deswegen glaube ich, daß es schnell zu einer Mineralölsteuererhöhung kommen muß.

Wie schnell?

Das wird Gesprächsthema bei den Koalitionsverhandlungen sein.

Die Mineralölsteuer gehört also zu den wenigen Punkten, die die Bündnisgrünen in Koalitionsverhandlungen festklopfen wollen.

Wir wollen jedenfalls den Einstieg in die ökologische Reform der Finanzsysteme. Dazu gehört neben der Erhöhung der Mineralölsteuer die Einführung einer Energiesteuer und der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen wie z. B. die Befreiung des Flugverkehrs von der Kerosinsteuer. Ohne ökologische Steuerreform wird es mit uns keine Koalition geben.

Wann wird der erste Atommeiler abgeschaltet?

Auch das wird sehr schnell gehen. Ein Atomausstieg, den man für die Zeit nach der eigenen Regierung vereinbart, ist kein Atomausstieg. Wir werden ein Atomausstiegsgesetz machen, mit dem die Restlaufzeiten der Atomkraftwerke begrenzt werden. Das bedeutet, daß für die ältesten Reaktoren das Ende sehr schnell kommen wird.

Gemeinsam mit der SPD und Herrn Schröder?

Die SPD will schließlich etwas von uns. Wir sollen im Herbst ihren Kanzlerkandidaten zum Kanzler wählen. Dafür wird sie bezahlen müssen. Es müssen Atomkraftwerke in der ersten Legislaturperiode stillgelegt werden.

Was gibt denn den Bündnisgrünen den Optimismus, daß mit Kanzler Schröder Dinge möglich sind, die mit Wirtschaftsminister Clement in Nordrhein-Westfalen unmöglich waren?

Woher wissen Sie, das es Schröder wird? Aber im Ernst, die Bundes-SPD ist nicht die NRW-SPD. Die NRW-SPD ist besonders rückständig und unbeweglich wegen ihres engen Verhältnisses zur Kohle- und Stahlindustrie. Auf der Bundesebene sieht das ein bißchen besser aus. Vor allem aber kommt es darauf an, daß wir ein gutes Wahlergebnis erzielen und hartnäckig verhandeln.

Das wird kaum reichen.

Warten Sie's ab. Der ökologische Frühling kündigt sich schon an. Wir haben inzwischen fünf grüne Umweltminister in den Ländern, ab März vielleicht sechs. Wir haben auch ohne Deutschland schon drei grüne Umweltminister in der EU. Da zeichnen sich neue Mehrheiten in Bundestag, Bundesrat und in Europa ab.

Und was werden nach der Bundestagswahl die konkreten Signale für diesen grünen Frühling sein?

Das Spiel wird im Kopf entschieden, sagt Boris Becker. Entscheidend wird sein, daß man wirksame Umweltpolitik nicht mehr als Last, sondern als Chance begreift, die Gesellschaft zu modernisieren. Statt alter Blockaden Lust auf Veränderung erzeugen. Energiesteuer rauf, Lohnnebenkosten runter, das Stromeinspeisegesetz ausweiten und den Einstieg ins Solarzeitalter wagen.

Die bisherigen rot-grünen Koalitionen in den Ländern tragen nur sehr bedingt eine solche Handschrift des Aufbruchs. Nehmen Sie nur Hamburg oder NRW.

Diese Koalitionen sind besser als ihr Ruf. Aber viele Dinge, die uns am Herzen liegen, sind auf Landesebene gar nicht machbar, der Atomausstieg zum Beispiel.

Trotzdem ist Ihr Programm für Werftarbeiter und Stahlkocher nicht attraktiv.

Eine ökologische Steuerreform schafft Arbeitsplätze, das wird kaum mehr bestritten. Eine ökologische Innovationsoffensive schafft zukunftsichere Märkte, das wird die Arbeitslosigkeit begrenzen. Abschaffen können wir sie nicht. Man wird den Strukturwandel abfedern müssen, die Energiesteuern langsamer einführen für energieintensive Industrien zum Beispiel. Das können wir besser als Union und FDP. Wir haben immerhin Konzepte dafür.

Den Arbeitnehmern, die heute in der Stahl- oder Werftindustrie arbeitslos werden, helfen diese Märkte nicht. Sie sind als ökologische Umbauer nicht qualifiziert. Was sagen Sie denen?

Sie sollen den Lügen der anderen Parteien nicht trauen. Mit oder ohne Grüne wird es den Strukturwandel geben. Wichtiger ist, rechtzeitig für Alternativen zu sorgen.

Die gesellschaftliche Mehrheit dafür gibt es bislang nicht.

Es gibt eine gesellschaftliche Mehrheit, nur noch keine politische. Diese Mehrheit will seit Jahren den Atomausstieg. Sie will den Einstieg ins Solarzeitalter, von der deutschen Maschinenbauindustrie bis zur IG Metall. Die Gegner unserer Konzepte sind viel weniger, sie schreien nur lauter. Selbst die ökologische Reform der Finanzsysteme wird als richtige Reform akzeptiert. Und die politische Mehrheit soll sich im September ändern. Die Zeit ist reif.

Wieviel Stimmen Mehrheit im Bundestag braucht man für eine solche Politik?

Mit einer Stimme Mehrheit ist das sicher nicht zu machen. Es muß schon ein bißchen drüber liegen, und das auch ohne die PDS. Interview: Hermann-Josef

Tenhagen

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