: Süchtig nach Autos und neuen Klamotten
■ Bomba (16) kam als 10jähriger in ein geschlossenes Kinderheim. Heute heißt es für ihn entweder Knast oder ein geregeltes Leben
Der 16jährige Bomba* muß unwillkürlich grinsen. In seiner Stimme schwingt so etwas wie Stolz mit, wenn er über sich selbst sagt: „Ich war schon ganz schön kraß drauf. Ich hab' echt auf alles geschissen.“
Die Akte des schlaksigen jungen Mannes bei der Berliner Jugendgerichtshilfe spricht Bände. Die Delikte reichen von Ladendiebstahl und Körperverletzung über Autoklau und Fahren ohne Führerschein bis zum Vorwurf des schweren Raubes. Wie oft er schnelle Wagen geknackt oder anderen Jugendlichen Klamotten oder Geld „abgezogen“ hat, weiß Bomba nicht. „Meistens wurde ich nicht erwischt. Irgendwann wird man süchtig und braucht jeden Tag 'ne neue Jacke.“
Der im Berliner Arbeiterbezirk Wedding geborene Sprößling einer alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerin fühlte sich schon in zartem Alter mehr von den türkischen Kids auf der Straße angezogen als von der Schule. Wenn der Drittkläßler nicht durch Schwänzen auffiel, war er faul und frech zu den Lehrern. „Ich hatte keinen Bock, es gab schönere Sachen.“ Irgendwann in dieser Zeit fing er an zu klauen. Schließlich konnte die Mutter, eine Quartalstrinkerin, dem Druck des Jugendamtes nicht länger standhalten und stimmte einer Heimunterbringung zu. Zuvor wurde der 10jährige in der Jugendpsychiatrie „durchgecheckt“.
Fortan wechselte Bombas Anschrift mehrmals im Jahr. Erst wurde er in Schleswig-Holstein in einer Pflegefamilie untergebracht. „Dort war es Scheiße, zu viele Verbote.“ Danach landete er in einem geschlossenen Kinderheim. Zwei Heime für Schwererziehbare im Harz folgten. Der 13jährige hing dort nur mit älteren Jugendlichen rum, kiffte und drehte immer größere krumme Dinger.
Nach einem kurzen Zwischenstopp in Berlin sollte eine Jugend-WG in Kiel folgen. Den Auftakt dazu bildete eine als Sommerurlaub angekündigte Reise auf eine schottische Insel. Als die sechs Wochen rum waren, drückten die Betreuer den fünf verdutzten Jugendlichen einen Katalog in die Hand mit der Aufforderung, sich ein Fahrrad auszusuchen: Den Heimweg nach Kiel mußte die Gruppe radeln. „Als Strafe jeden Tag 50 Kilometer, bergauf und bergab durch Norwegen und Dänemark. Es war furchtbar, nachts wurde fast nur gecampt.“
Erleichtert darüber, nach „monatelanger Tortur“ endlich wieder in Deutschland zu sein, legte Bomba in der Kieler WG die Beine hoch, statt einen Schulabschluß zu machen. Er rauchte Joints und klaute. Schließlich setzte er sich mit zwei Kumpels in gestohlenen Autos nach Berlin ab. Offiziell wohnte er wieder bei seiner Mutter, tauchte aber in die Techno- Szene ab. Seinen exzessiven Ecstasy-Konsum und Klamottenbedarf finanzierte der inzwischen 15jährige durch Straftaten. „Drogenkaufen und auf Parties gehen war das wichtigste.“ Er wurde mehrfach erwischt, hatte bei den Richtern aber immer großes Glück. Und das, obwohl er den coolen Typen mimte. Auf die Frage, ob es ihm leid tue, antwortete er einmal: „Ja. Weil so wenig Geld drin war.“
Der Prozeß für die letzte Tat steht noch aus. Bomba hatte einem Jugendlichen am Berliner Kurfürstendamm mit einer ungeladenen Gaswaffe Geld abzuknöpfen versucht. Diesmal steht Knast an, und davor hat Bomba riesigen Schiß. So große Angst, daß er sein Leben vor einem halben Jahr radikal geändert hat. Mit Hilfe eines Sonderbetreuers des freien Jugendhilfeträgers Aktion 70 kann er vielleicht schon bald eine Lehre als Koch anfangen; er will „eine Familie und so“ gründen. Heute ist der Jugendliche froh darüber, daß er als Kind aus Berlin weggekommen ist. „Sonst hätte ich mit 12 bestimmt an der Nadel gehangen.“ Plutonia Plarre
* Name von der Red. geändert
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