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In der Ecke sitzt Max, das Holzskelett

Für sie war Gottfried Benn ein „Ofen, der viel Wärme und Ruhe verbreitet“: Doch Ursula Ziebarth war nicht nur des Dichters Muse, sie ist selbst Schriftstellerin, die in ihren Büchern nach dem Schönen sucht  ■ Von Hedwig Richter

Prinzessinnen-Zauber, Kinderträume in Holz und Papier, zum Anschauen, Anfassen und Spielen. Bis an die Decke sind die Wände mit Büchern gefüllt, und wo noch Platz ist, hängen Bilder über Bilder. In der Wohnung von Ursula Ziebarth kommt man aus dem Gucken und Wundern nicht heraus. Unzählige geschnitzte Figuren, Holzpferde, Glasbläserkunst, Puppen, Puppenstuben, Spielautos. In der Ecke sitzt Max, ein lebensgroßes Holzskelett, das von der Hausherrin liebevoll gestreichelt wird.

Das graumelierte Haar schlicht hochgesteckt und apart im knallblauen Pulli zu knallblauer Hose, begrüßt Ursula Ziebarth ihren Gast herzlich. Sie ist Besuch gewohnt. Maler, Schriftsteller oder auch Schauspieler sind häufig bei ihr zu Gast. Angela Winkler beispielsweise. Am Tag nach ihrer Premiere als Iphigenie in der Schaubühne war sie zum Tee da. Natürlich war Ursula Ziebarth in der Vorstellung gewesen. Sie ist leidenschaftliche Theatergängerin; allein 1997 war sie über hundertmal im Theater.

Um groß zu kochen, ist in Ursula Ziebarths Küche kein Platz, doch eine Herdplatte ist noch frei. Teewasser wird aufgesetzt. Auch hier ist alles ein bißchen anders. „So sieht mein Geschirr aus“, erklärt sie und öffnet ein Schränkchen. Unzählige Puppengeschirre stehen säuberlich gereiht auf den Brettern. Vom alten, wertvollen Miniaturzwiebelmuster bis zum Playmobil-Silber aus Plastik. Ursula Ziebarth ist Sammlerin, unter anderem. Spielzeuge mag sie vor allem, aber nicht ausschließlich. Sie liebt alles, was schön ist. „Schon früh hat man mir beigebracht: Geld für Schönes, aber nicht für Konsum“, erzählt sie.

Ursula Ziebarth ist 1921 in Berlin geboren. Sie wohnte nicht immer hier und unternahm auch Reisen in alle Kontinente. „Doch wenn mich jemand nach der Nationalität fragt, gebe ich Berlin an“, sagt sie. Nach ihrem Geschichts- und Germanistikstudium arbeitete sie zunächst einige Jahre als Schulbuchautorin und dann dreißig Jahre als Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für Wirtschaft in Berlin. Ursula Ziebarth nennt das ihren Brotberuf: Die finanzielle Unabhängigkeit war ihr immer wichtig.

Geschichten von Benn und ihrer Zweisamkeit

Beim Tee erzählt sie aus ihrem Leben. Aus der Vielfalt der Bilder und Figuren um sie herum kristallisieren sich Geschichten heraus. Beispielsweise sind da Zeichnungen von Otto Dix, mit dem sie befreundet war. „Ist ja klar“, meint sie bescheiden, „wenn man mal so alt ist wie ich, dann hat man halt schon viele Leute kennengelernt.“ Auch Gottfried Benn. Zwei Jahre vor seinem Tod lernte Ursula Ziebarth ihn kennen, sie war die Gefährtin seiner letzten Jahre. In den Büchern, die sie selbst geschrieben hat, finden sich Geschichten über Benn und ihrer Zweisamkeit.

Wie sie ihn kennenlernte, wie sie gemeinsam unterwegs waren, sich über Literatur unterhielten, U-Bahn fuhren in Berlin. Wie sie ihm den Bodensee zeigte, wie sie an dem Bett standen, in dem Annette Droste-Hülshoff starb. Über den als kühl und abweisend geltenden Benn sagt sie: „Er war wie ein Ofen. Er verbreitete so viel Wärme und Ruhe.“ Aus einer Ecke zieht sie zwischen Büchern und hölzernen Ziehharmonikaspielern einen Kasten hervor und öffnet ihn. Über zweihundertfünfzig Briefe Benns an sie.

Freilich war Ursula Ziebarth nicht nur Dichtermuse. Sie ist selbst Schrifstellerin. Als sie noch Mitarbeiterin im Deutschen Institut für Wirtschaft war, stand sie oft morgens um vier Uhr auf, um zu schreiben. Wenn sie dann um acht ins Wirtschaftsinstitut ging, hatte sie ihre eigentliche Arbeit schon hinter sich. Schreibend sucht Ursula Ziebarth nach dem Schönen. Dabei stößt sie immer wieder auf die Kindheit. „Als Kind über mein Kaleidoskop gebeugt, die bunten Glasstückchen schüttelnd, habe ich Sterne und Abersterne erzeugt“, erzählt sie in „Hexenspeise“ (1976).

Wie ein Kind nimmt die lebenslustige Frau die Welt wahr, hinter allem kann sie den Kinderzauber noch erkennen. In ihren Büchern erzählt sie von traurigen Dingen, von schaurigen und schönen. „In Satzspiegeln sind sie zu sehen, die Lebendigen und die Toten, das Kind, das man selber war, und das Kind, das Du gewesen bist auch“, schreibt sie in dem 1997 erschienenen Erzählungsband „Ein Kinderspiegel“.

Wo Kindheit fehlt, fehlt Geist

Oder über Goethe: „Noch vom alten Geheimen Rat, Minister, Olympier wird berichtet, daß er Kinder nicht stehend empfing, mit ihnen setzte er sich gleich nahe zusammen, und sie mußten ihm erzählen. Eine sublime Verwandtschaft des Gemütes war es wohl, die bewirkte, daß er sich so sehr zu ihnen hingezogen fühlte und: sie sich zu ihm.“ Oder Picasso: „Wie Erwachsene sich oftmals terrorisiert fühlen von den unvorhersehbaren Einfällen eines Kindes, fühlte sich das kunstbetrachtende Bürgertum terrorisiert von Pablitos Einfällen.“

Schreiben über die Kindheit heißt bei Ursula Ziebarth nicht, die Vergangenheit zu vergöttern. Kindsein versteht sie eher als Lebenshaltung. Wo sie fehlt, fehle Geist. Wie in der Politik. „Die Kunst ist eine Möglichkeit der Interpretation des Lebens, und die nehmen die meisten Politiker nicht wahr.“

Beim Teetrinken und Plaudern fällt der Blick auf die alten Seiffener Holzfigürchen. In „Ein Kinderspiegel“ berichtet sie von den Kindern, die das Spielzeug herstellen mußten, um ihre Existenz zu sichern. Von klein auf liebte sie diese Figuren, auch weil sie wußte, mit wieviel Mühe Kinder sie hergestellt hatten. Im „Kinderspiegel“ zitiert sie auch Goethe: „Du lieber Gott in Deinem Himmel! Alte Kinder siehst Du und junge Kinder und nichts weiter; und an welchen Du mehr Freude hast, das hat Dein Sohn schon lange verkündet.“

Ursula Ziebarth: „Ein Kinderspiegel“. Erschienen im Verlag publication P No 1, Bibliothek der Provinz. 288 Seiten, 58 DM

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