piwik no script img

■ Im Alleingang formulierten Schröder und Lafontaine ihr "Regierungsprogramm". Das SPD-Fußvolk darf jetzt noch abnickenDie Partei ist Zuschauer

Im Alleingang formulierten Schröder

und Lafontaine ihr „Regierungsprogramm“.

Das SPD-Fußvolk darf jetzt noch abnicken

Die Partei ist Zuschauer

Kaum haben Jubel und Zuversicht bei der SPD über die Ausgangsposition für die Bundestagswahl einen Höhepunkt erreicht, ist gleich wieder Feuer unterm sozialdemokratischen Dach. Mitglieder des Präsidiums und des Parteivorstandes fühlen sich übergangen, weil einige Medien den Entwurf des Regierungsprogramms 1998 bis 2002 der SPD bereits in Händen halten, bevor sie es überhaupt gesehen haben.

Bereits vor der Kandidatenentscheidung war der Programmentwurf fertiggestellt. Der ganze Text sollte am 9. März bei der Präsidiumssitzung diskutiert und erst dann den Medien bekanntgegeben werden. In den vergangenen Wochen hatten die SPD-Mitglieder lediglich eine Gliederung mit Überschriften erhalten und den schriftlich ausgefertigten Teil, an dem sie selbst mitgearbeitet hatten. „Nur Schnipsel“, wie ein Mitglied des Parteivorstandes sagt. Eine Überschrift beim Gliederungspunkt Innere Sicherheit lautete etwa: „Die Strafe muß der Tat auf dem Fuße folgen“.

Die Begründung für dieses Vorgehen: damit das Programm nicht der Presse zugespielt wird. Andere durften zwar das ganze Programm lesen, mußten es dann aber wieder aus der Hand geben. SPD-Mitglieder, die nicht genannt werden wollten, bezeichneten dieses Vorgehen als „Ungeheuerlichkeit“, „ungewöhnlich“ und kamen sich „übergangen vor“.

Die Verärgerung ist um so größer, als sich das 13köpfige Präsidium und der 46köpfige Parteivorstand schon bei der Kandidatenkür „auf der Zuschauertribüne“ wiedergefunden hatten, nachdem Oskar Lafontaine in der Wahlnacht Gerhard Schröder bereits als Kandidaten nominiert hatte. Das, so hieß es, sei eigentlich abgehakt gewesen. Der überwältigende Wahlerfolg Schröders habe schließlich keine andere Entscheidung zugelassen. „Alle waren begeistert, auch die Anhänger Lafontaines.“ Es sei eine ungeheure Motivation freigesetzt worden, und alle seien davon überzeugt: Nur mit Schröder ist die Bundestagswahl zu gewinnen.

Zu dem Ärger über die Geheimhalterei kommt in der SPD Irritation über Signale hinzu, die Schröder seit der Kandidatenentscheidung über inhaltliche Fragen gesetzt hat, die im Regierungsprogramm nicht ausdrücklich geregelt sind. So scheint es jetzt nicht ausgeschlossen, daß die SPD nicht auf die Wiedereinführung der privaten Vermögenssteuer besteht, wie es Lafontaine immer gefordert hatte. Im Regierungsentwurf ist dieser Punkt nicht eindeutig aufgeführt, während „Fehlentscheidungen“ beim Kündigungsschutz, beim Schlechtwettergeld und bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall korrigiert werden sollen.

Zudem können jüngste Bemerkungen als eine Absage an Arbeitszeitverkürzung verstanden werden. Schröder hatte gesagt, er habe in Niedersachsen schon Arbeitszeitverlängerung machen müssen, das sei nicht schön, aber so sei die Lage. Es wird die Vermutung geäußert, daß das Wahlprogramm auch deshalb noch nicht verschickt worden sei, weil Schröder noch Änderungen habe machen wollen.

Dennoch geht niemand davon aus, daß in der SPD ein Richtungsstreit ausbrechen wird. „Es wird jetzt viel geschluckt werden“, sagt ein Vorstandsmitglied, „von Lafontaine und der ganzen Partei.“ Niemand wolle sich dem Vorwurf aussetzen, dem aussichtsreichen Kanzlerkandidaten Schröder in den Rücken fallen zu wollen. Inhaltlich werde schon alles so gebogen werden, daß es in ein gemeinsames Konzept passe. Lafontaine werde nur in eklatanten Fällen eingreifen. Schröder selbst hatte einmal hinsichtlich der geringen Zustimmung der SPD-Gremien zu seiner Person gesagt, daß das Amt des Kanzlerkandidaten viele Probleme löse.

Andererseits heißt es: Schröder mache in jüngster Zeit den Eindruck, Kreide gefressen zu haben. Er betone häufig, wie wichtig die Partei sei, und halte sich mit provokativen Äußerungen zurück. Zudem könne er nicht umhin, Entscheidungen mitzutragen, die Lafontaine in der SPD bereits durchgesetzt habe, wie etwa die Ausbildungsplatzabgabe und den Einstieg in die Ökosteuer. Er werde allerdings, wenngleich auf Basis des Regierungsprogrammes, andere Nuancen setzen. So werde er etwa deutlich betonen, daß Unternehmen von Öko-Steuererhöhungen ausgenommen werden, anders als Lafontaine nicht für Lohnerhöhungen eintreten und auch nicht die internationale Harmonisierung von Steuern und Abgaben forcieren.

Bei der Entscheidung über den Großen Lauschangriff sind die Karten auch neu gemischt. Schröder hat zu erkennen gegeben, daß er, bevor es zu keiner Einigung kommt, für den alten Kompromiß zwischen Koalition und SPD stimmen werde. Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte könnten demnach akustisch überwacht werden. Im Regierungsprogramm hat sich die SPD dazu schließlich nicht festgelegt. Markus Franz, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen