: Nächste Ausfahrt Staatsbürgerschaftsrecht
■ Während die FDP sich als Sieger in der Schlacht um den Großen Lauschangriff präsentiert, versuchen die Sozialdemokraten, die nächste Zwickmühle für die Liberalen aufzustellen
Nach dem Verhalten ihrer abtrünnigen Abgeordneten bei der Abstimmung über den Großen Lauschangriff und der Schelte der Union ist bei der FDP von Katzenjammer keine Spur. Im Gegenteil: Bei den einen herrscht eitel Freude, und die Parteiführung bringt es mit katzenhafter Überlebensfähigkeit fertig, das Abstimmungsergebnis als Erfolg der FDP darzustellen. Die FDP neben der SPD der große Gewinner in der Schlacht um den Lauschangriff?
Insbesondere Generalsekretär Guido Westerwelle tat am Tag nach der Entscheidung im Bundestag so, als sei alles genau nach Plan gelaufen und als hätten nicht CDU-Abgeordnete wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Rupert Scholz die FDP als Teil eines „Volksfront-Bündnisses“ bezeichnet (siehe Kasten). Die FDP habe „schon immer gesagt“, daß Ärzte, Anwälte und Journalisten besser geschützt werden sollten. Es sei der FDP wichtig, daß in diesem Bereich „jetzt endlich“ ein besserer Schutz gewährleistet sei.
Schon vergessen, daß die FDP noch am Wochenanfang versichert hatte, daß die Opposition es nicht fertigbringen werde, die Koalition zu überstimmen? Die FDP sieht sich seit Donnerstag jedenfalls in einem strategischen Vorteil.
Neben der „diebischen Freude“, der Union eins ausgewischt zu haben, die einige FDP- Mitglieder empfinden, spielen vor allem drei Punkte eine Rolle: Erstens, die FDP hat damit etwas für ihre angestammten Wähler getan. Ärzte und Rechtsanwälte, heißt es, hätten schwer nachvollziehen können, warum die „Bürgerrechtspartei“ sie beim Lauschangriff im Stich läßt, während sie beispielsweise Abgeordnete schützen will. Der innenpolitische Sprecher der FDP, Max Stadler, räumte gegenüber der taz ein, daß die Entscheidung „wichtig für die Klientel der FDP“ gewesen sei und daß diese sich „aktiv“ bei der FDP um eine Korrektur bemüht hätten. Können sich jetzt die neun FDP-Abgeordneten, die für den Vorschlag der SPD gestimmt haben, und die drei, die sich „feige“ der Abstimmung ferngehalten haben, als die besseren FDP-Abgeordneten sehen?
Zweitens: Die FDP hat, wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betonte, gegenüber der Union „eigene Akzente gesetzt“ und gezeigt, wie es Hans-Dietrich Genscher am Jahresanfang gefordert hatte, daß sie ein „eigenes Profil“ besitzt. Insbesondere von den beiden Ehrenvorsitzenden Hans- Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff heißt es, daß sie „nicht mit der CDU verheiratet“ seien. Gerade nach der deutlichen Wahlniederlage der CDU in Niedersachsen und auch von Helmut Kohl persönlich, sei es um so wichtiger, sich von der CDU zu distanzieren. Eine Hinwendung zur SPD wird allerdings allgemein ausgeschlossen.
Drittens: Das Abstimmungsergebnis hat gezeigt, daß es in der Partei der Liberalen Abgeordnete gibt, die ihr Gewissen über die Fraktionsräson stellen, auch wenn nur 7 der 47 FDP-Abgeordneten davon Gebrauch gemacht haben. „Gerade für unsere Wählerschaft ist es wichtig, daß wir ihr beweisen, daß unsere Leute freie Abgeordnete sind“, sagt der Juli-Vorsitzende Michael Kauch. Eine entscheidende Rolle haben dabei Genscher und Lambsdorff gespielt. Abgeordnete wie Stadler fühlten sich nach eigener Aussage durch das Vorbild der „großen Liberalen“ ermutigt, entsprechend ihrem Gewissen zu entscheiden, und konnten so für den SPD-Vorschlag aus dem Vermittlungsausschuß stimmen.
Die Sozialdemokraten suchen nun nach Mitteln, das Thema Staatsangehörigkeit im Bundestag abstimmen zu lassen, bei dem die FDP eine konträre Auffassung zur Union hat. Zwar liegt bereits ein Gesetzentwurf des Bundesrates aus dem SPD-regierten Hessen vor, doch wurde die Abstimmung im Bundestag darüber mit der Geschäftsordnungsmehrheit der Koalition abgelehnt. Die SPD will daher eine Geschäftsordnungsdebatte im Bundestag beantragen, in der wenigstens darüber abgestimmt wird, daß die Bundesratsinitiative auf die Tagesordnung im Bundestag kommt.
Allerdings behaupten die Liberalen auch hier, FDP und CDU ließen sich beim Thema Staatsangehörigkeit nicht vorführen. In dieser Frage werde der „Druck auf die Koalitionsdisziplin“ viel stärker sein als beim Lauschangriff, sagte Stadler. Wechselnde Mehrheiten schließe er aus. Die FDP werde statt dessen versuchen, die Reform der Staatsangehörigkeit in der nächsten Legislaturperiode durchzusetzen. Markus Franz, Bonn
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