: „Hier ist ein Gesicht zerstört worden“
Im Totschlagsprozeß gegen den evangelischen Pastor Klaus Geyer ist die Beweisaufnahme fast abgeschlossen. Ein Gutachter: Die Tat wurde im Affekt begangen oder von einem psychisch Kranken ■ Aus Braunschweig Bascha Mika
Wer wen in einer Partnerschaft umbringt, ist keine Frage des Zufalls. Etwa 85 Prozent der Täter bei Mord und Totschlag in Ehen und ähnlichen Beziehungen sind Männer. Die Strukturen dieser Verbrechen, das haben Berliner Wissenschaftler kürzlich festgestellt, ähneln sich verblüffend: Ein Mann mit angeschlagenem Selbstwertgefühl, der sich von seiner Partnerin abhängig glaubt, will seine männliche Überlegenheit durchsetzen und Herrschaft über die Frau erlangen. Mit tödlichem Ausgang.
Klaus Geyer, 57jähriger Pfarrer aus Beienrode, wird beschuldigt, seine Frau umgebracht zu haben. Er steht seit Anfang Februar in Braunschweig vor Gericht. Nach der fünften Verhandlungswoche ist die Beweisaufnahme in diesem Indizienprozeß so gut wie abgeschlossen. Ein wichtiges Gutachten steht allerdings noch aus. Ein Experte aus New York wird heute darüber Auskunft geben, wann Veronika Geyer-Iwand getötet wurde. Der Todeszeitpunkt ist extrem wichtig, denn für den Nachmittag, an dem seine Frau verschwand, hat Klaus Geyer kein Alibi. Liegt der Todeszeitpunkt außerhalb dieser alibilosen Zeit, würde ihn das stark entlasten.
Der Pathologe untersucht den Todeszeitpunkt anhand von drei Maden, die bei der Leiche gefunden wurden – die Hoffnung, damit der Wahrheit näher zu kommen, wurde schon letzte Woche gedämpft. Die Expertise, die schriftlich vorliegt, läßt den Todeszeitpunkt „relativ offen“ und geht von einer „großen Bandbreite“ aus.
Die Staatsanwaltschaft gibt sich sicher, daß die vorliegenden Indizien zu einer Verurteilung von Klaus Geyer ausreichen. Vor allem in der letzten Verhandlungswoche wurde noch einmal deutlich, in wie viele Widersprüche sich der Angeklagte verstrickt hat. Daß er bei den Vernehmungen seine außerehelichen Beziehungen abstritt, scheint noch verständlich. Wer sagt das schon gern der Polizei – vor allem als Geistlicher, der Konsequenzen von seiner Kirche fürchten muß.
Anderes scheint weniger verständlich. Warum hat Geyer geleugnet, am Nachmittag, als seine Frau verschwand, aus einer Telefonzelle in der Nähe des Tatorts telefoniert zu haben? Warum hat er versucht, eine Freundin zu einem Meineid zu überreden? Und seine Geliebte zu einer Falschaussage? Warum verschwieg er – wo es nichts mehr zu verschweigen gab –, daß er mit seiner Geliebten noch in der Nacht nach dem Verschwinden seiner Frau Sex im Ehebett hatte? War er sich sicher, daß seine Frau nicht wiederkommt?
Was ist mit den Gummistiefeln, an denen Erde vom Tatort klebt? Was mit den Zeugen, die Klaus Geyer an jenem Nachmittag streitend mit seiner Frau im Auto und später am Tatort gesehen haben wollen? Doch andererseits: Die Frage der Tatwaffe ist nach wie vor strittig. Ebenso das Motiv. Klaus Geyer hatte offenbar über zwei Jahrzehnte außereheliche Beziehungen. Warum soll dieser Umstand – wie es die Staatsanwaltschaft annimmt – ganz plötzlich eine so schwere Ehekrise ausgelöst haben, daß diese tödlich endete?
Gutachter können Fehler machen, Zeugen können sich irren. Das erklärungsbedürftige Verhalten von Klaus Geyer bleibt. Wenn Klaus Geyer das Verbrechen begangen hat, so der psychiatrische Gutachter Ulrich Sachsse, dann wahrscheinlich „aus dem Moment heraus“, weil er „massiv in die Ecke“ gedrängt worden ist und seine „Steuerungsfähigkeit vermindert“ war. So eine Situation hätte eintreten können, wenn Veronika Geyer-Iwand ihrem Mann gedroht hätte, ihn zu verlassen.
Klaus Geyer ist wegen Totschlags angeklagt. Wird er verurteilt, muß er zwischen fünf und fünfzehn Jahre ins Gefängnis. Bei „verminderter Steuerungsfähigkeit“ könnte das Gericht das Strafmaß reduzieren.
Geyer sei „keine klassische Täterpersönlichkeit“, so Gutachter Sachsse. Zwar könne „auch so jemand wie er“ ein geplantes Verbrechen begehen. Doch das hält Sachsse bei einem Menschen, der sich über Jahre bei „Aktion Sühnezeichen“ und für die Opfer des Holocaust engagiert hat, „psychodynamisch für nicht sehr wahrscheinlich“. Für Sachsse steht fest, daß Veronika Geyer-Iwand von jemandem totgeschlagen wurde, der die Kontrolle über seine Gefühle verloren hat. „Hier ist ein Gesicht zerstört worden.“ Das kenne er bei „schweren Affekttaten“ oder bei Verbrechen von psychisch kranken Tätern. Bei Klaus Geyer schließt Sachsse eine „krankhafte seelische Störung“ aus.
Es ist ein sehr vorsichtiger Gutachter, der hier sein Urteil über die Persönlichkeit des Angeklagten abgibt. Nach all der medialen Aufregung über das rege Liebesleben des evangelischen Geistlichen klingt Sachsses Einschätzung ernüchternd unaufgeregt. Er glaubt, daß die Ehe der Geyers, trotz der Seitensprünge des Ehemannes, „unter einem sehr hohen Ideal“ gestanden habe, an dem „beide Seiten gezielt gearbeitet“ hätten. Die Frage der Treue hätten beide wohl „sehr diplomatisch“ behandelt. Ob in der Zeit vor dem 25. Juli 1997 – dem mutmaßlichen Todestag von Veronika Geyer-Iwand – eine Situation eingetreten sei, in der dieses eheliche System nicht mehr funktionierte, sei „schwer einzuschätzen“.
Die Pastorenfrau, davon ist der Gutachter überzeugt, war das „Fundament“ der Geyerschen Ehe. Die Angst, seine Frau zu verlieren, hätte Klaus Geyer in einen „Zustand der völligen Heimatlosigkeit“ bringen können. Hat der Angeklagte seine Frau umgebracht, um sich ein letztes Mal die Kontrolle über die Beziehung – und damit über die eigene Abhängigkeit – zu verschaffen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen