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„Ein bewährter alter Fachmann“

Vom NS-Goldräuber zum führenden deutschen Wirtschaftskriminologen: Die Karriere des Hamburger Kripo-Chefs Walter Zirpins  ■ Von Dieter Schröder und Rolf Surmann

„Unbelastet“

steht auf den Entlassungspapieren, als Walter Zirpins vor 51 Jahren, im März 1947, das britische Internierungslager Eselheide südlich von Hamburg verläßt. Und so hält es der letzte „Leiter der Kriminalpolizeistelle Hamburg“unter dem Hakenkreuz für durchaus angebracht, sich bereits ein halbes Jahr später für den Chefposten des neugeschaffenen Landeskriminalamts Niedersachsen zu bewerben. Allerdings zieht es Zirpins vor, seine Hamburger Tätigkeit in den Bewerbungsunterlagen stillschweigend zu übergehen.

Die Reinheit der Zirpinsschen Weste steht denn auch nur auf den Entlassungspapieren aus der englischen Internierungshaft. Vor einer möglichen Berufung tauchen Gerüchte über seine SS- und Gestapo-Vergangenheit auf und lassen den Karriere-Polizisten seine Bewerbung zurückziehen – fürs erste. Zirpins nutzt die Zwangspause, setzt sich an seinen Schreibtisch und arbeitet seinen Erfahrungsschatz auf. Das erste Ergebnis ist die „Folge 10 der Polizeifachlichen Schriftenreihe“zum Thema „Wirtschaftskriminalistische Betriebsprüfung“, deren Einleitung er „Hamburg, Weihnachten 1948“abschließt.

Die Grundlagen

seiner Fachkenntnis hatte sich der 1901 im oberschlesischen Königshütte geborene Zirpins früh und zielstrebig angeeignet. Banklehre, Jurastudium, Promotion in Wirtschaftsrecht, mit nur 28 Jahren Leiter des „Politischen Kommissariats“in Marienburg bei Danzig und vier Jahre später bereits Lehrer am Polizeiinstitut in Berlin. Gelegenheit, seine politische Loyalität unter Beweis zu stellen und seiner Karriere im gerade angebrochenen „1000jährigen Reich“einen zusätzlichen Schub zu verleihen, bot sich Zirpins im Februar 1933. Er war führender Vernehmungsbeamter in den Verhören des vermeintlichen „Reichstagsbrandstifters“Marinus van der Lubbe, wie der Historiker Hersch Fischler bei seinen Recherchen zur Täterfrage herausfand.

Vom Wohlwollen Hermann Görings begleitet, der als preußischer Ministerpräsident den NS-Sicherheitsapparat aufbaute, stieg Zirpins zum Kriminaldirektor beim Reichskriminalpolizeiamt auf. Im Mai 1937 trat er der SS bei und wurde drei Jahre später, nach dem Überfall auf Polen, mit einer Schlüsselstelle in Sachen „Raubgold“betraut. Als Kripochef von Litzmannstadt, dem heutigen Lodz, richtete er sein Hauptaugenmerk auf die Beschlagnahme von Schmuck, Gold und Devisen der im Ghetto von Lodz zusammengepferchten Juden. Gelang ihm ein besonders wertvoller Raub, pflegte der SS-Sturmbannführer und Kriminaldirektor Zirpins das Beutegut der „Haupttreuhandstelle Ost“persönlich zu präsentieren, die – wieder unter Hermann Göring – federführend für die „Abwicklung“beschlagnahmter jüdischer Vermögen war.

Allerdings stieß sein Eifer nicht überall auf Wohlwollen. Durch seine „Fahndungserfolge“geriet Zirpins in Konflikt mit der NS-Ghetto-Verwaltung, zu deren Aufgaben es gehörte, im Austausch für Lebensmittellieferungen Vermögen abzuschöpfen und an den Regierungspräsidenten weiterzuleiten. Zirpins wurde vorgeworfen, seine Beschlagnahmungen ohne Rechtsgrundlage durchzuführen. So absurd dieser Vorwurf unter Nazi-Verbrechern klingt, so treffend war er in formaler Hinsicht. Erst durch eine Verordnung vom 11. September 1940 wurde der polizeiliche Raub „legalisiert“.

Die von Zirpins eingerichtete „Sonderkommission Ghetto“, der auch die nach Lodz abkommandierten Männer des Hamburger Polizeibataillons 101 als Wachtruppe Handlangerdienste leisteten, „prügelte und folterte, mitunter bis zum Tode“, stellte ein Bericht 1946 fest. Zirpins sah das so: „Die Tätigkeit der Kriminalpolizei im Litzmannstädter Ghetto reizt als Neuland, ist ebenso vielseitig wie interessant und beruflich dankbar“, schrieb er 1941 in einem Beitrag der „Fachzeitschrift Kriminalistik“.

Nach getaner Pionierarbeit durfte Zirpins die nächsten vier Jahre als „Referatsleiter Ausbildung, Fortbildung und Sonderschulung“im Reichssicherheitshauptamt, der Berliner Polizeizentrale, verbringen. Am 2. Januar 1945 belohnte ihn der „Chef der deutschen Polizei und Reichsführer SS“, Heinrich Himmler, mit der Beförderung zum „Oberregierungs- und Kriminalrat, Besoldungsgruppe A 2“, wogegen – laut Vermerk auf dem Ernennungsantrag – auch von Hans Heinrich Lammers, dem Leiter der Reichs- und NSDAP-Parteikanzlei, „keinerlei Einwände“erhoben worden seien.

Einen Monat

später stand Zirpins wieder an der kriminalistischen Front, dafür in sicherer Entfernung von der sowjetischen Armee, die zur Schlußoffensive gegen Berlin ansetzte: Im Februar 1945 wurde Walter Zirpins Chef der Hamburger Kripo. Zu tun gab es auch angesichts des nahenden Zusammenbruchs genug. Der NS-Polizei- und Justizapparat, dafür sorgte er, funktionierte bis zum Ende.

Noch am 23. April 1945 wurde etwa der Postfacharbeiter Alfred Geyer wegen „Diebstahl von Feldpostpäckchen“im Keller des Untersuchungsgefängnisses am Holstenglacis „rechtskräftig“guillotiniert. Etwa zur gleichen Zeit wurden 58 Männer und Frauen, die wegen „Abhörens von Feindsendern“oder „defaitistischer Äußerungen“in U-Haft saßen, ins KZ Neuengamme „verbracht“. Dort endeten sie zwischen dem 21. und 24. April – ohne Urteil – als „Volksschädlinge und Wehrkraftzersetzer“am Galgen oder durch „Fangschuß“.

Nach der Kapitulation zwei Wochen später erweist sich Walter Zirpins den englischen Vernehmungsoffizieren gegenüber als durchaus „kooperativ“. Er vermag den Eindruck zu erwecken, ein zwar hochrangiger, aber trotzdem „sauber gebliebener“Polizeimann gewesen zu sein, dessen Rang als SS-Offizier nichts weiter als eine verordnete, leidige Formsache war.

In dieses Horn

stößt in den Gründerjahren der Bundesrepublik auch ein noch junges „Deutsches Nachrichtenmagazin“. Zirpins ist einer von etlichen Informanten aus dem Gestapo-Umfeld, deren Insiderwissen dem Spiegel zu zeitgeschichtlichen Enthüllungsstorys verhelfen. Daß sie selbst dabei nicht schlecht wegkamen, beweisen Artikel des Herausgebers Rudolf Augstein, in denen auch Zirpins explizit als „bewährter alter Fachmann“genannt wird, dessen Wiedereinstellung für die innere Sicherheit der neuen Republik unerläßlich sei.

1951 bewirbt sich Zirpins denn auch erneut um die Chefstelle im LKA Niedersachsen. Und diesmal gibt er sein Hamburger Intermezzo an. Es sind die Jahre, in denen sich die „Kaufmann-Legende“durchsetzt, die Mär vom „anständigen Nazi“Karl Kaufmann, der als Gauleiter Hamburgs in den letzten Tagen der Hitler-Diktatur „das Schlimmste“verhindert und die Stadt kampflos den Briten übergeben habe. Eine Tätigkeit in dessen Umfeld kann da als Empfehlung dienen; Zirpins wird tatsächlich an die Spitze des Landeskriminalamts in Hannover berufen.

Der Rest ist

bundesdeutsche Routine. Zirpins veröffentlicht weiterhin Schriften zu seinem Lieblingsthema Wirtschaftskriminalität. Und auch gelegentliche Rückfälle in die alte Nomenklatur von „Parasiten“und „Schädlingen“, wie in der Schriftenreihe des Bundeskriminalamtes Nr.1 von 1959, erregen dabei keinen Anstoß.

1961 geht der Kriminaldirektor Walter Zirpins in Pension, auf deren Höhe die seinerzeitige Erhebung in die „Besoldungsgruppe A 2“keinen geringen Einfluß hat. Auch ein Ermittlungsverfahren, das aufgrund einer Radiosendung über das Ghetto von Lodz ein Jahr zuvor eingeleitet worden war, wird sechs Monate vor dem verdienten Ruhestand wieder eingestellt.

Und so stirbt Walter Zirpins als „Nestor der deutschen Wirtschaftskriminologie“unbelastet 1976 in Hannover.

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