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Der Vatikan wäscht seine Hände tief in Unschuld

■ Katholische Kirche erkennt im Dokument zum Holocaust keine eigene Schuld an. Jüdische Gemeinde sieht deutlichen Rückschritt gegenüber früherer Papst-Äußerung

Rom (taz) – Mit Bestürzung haben Holocaust-Überlebende und jüdische Gemeinden auf das lange erwartetete „Dokument zum Holocaust“ des Vatikans reagiert, das nach mehreren hoffnungsvollen Vorankündigungen durch Papst Johannes Paul II. und seinen Chefratgeber Kardinal Ratzinger gestern in Rom veröffentlicht wurde. In der nur zwölf Seiten umfassenden Schrift unter dem Titel „Wir erinnern uns – Überlegungen zur Shoa“ fehlt ein konkretes Schuldeingeständnis bei der Judenvernichtung unter den Nazis.

Während der Papst selbst immerhin die Schuld zahlreicher Christen einräumt, sucht das Kommissionselaborat nahezu alle Vorwürfe gegen die Kirche und ihre Leitung zu verniedlichen oder in allgemeinen Formeln zu verschleiern. Besonders eklatant ist die Verteidigung des mittlerweile von nahezu allen Historikern als viel zu weich gegenüber den Nazis eingeschätzten Papsts Pius XII.: Er habe sich zuerst als Apostolischer Nuntius in Berlin und dann als Heiliger Vater „äußerst klug verhalten“, indem er allzu scharfe Kritik an Hitler vermied – so konnte er angeblich unzählige Menschen vor den Nazischergen retten. Eine These, die seit langem kaum ein Historiker mehr teilt.

Erwartet hatten nicht nur israelitische Gemeinden und Verfolgte des Nationalsozialismus, sondern auch hohe katholische Würdenträger ein Eingeständnis der Mitschuld der Kirchenführung: So hatten die Kardinäle Achille Silvestrini und Carlo Maria Martinio ausdrücklich „einen Kniefall des Vatikans vor den Opfern des Holocaust“ verlangt. Selbst Kardinal Ratzinger räumte noch am vergangenen Sonntag ein, daß „Hitler seine Vernichtungszüge nicht hätte durchführen können, wenn die Welt der Christen einmütig gegen ihn aufgestanden wäre“.

Das Dokument der Kommission dagegen sieht allenfalls im „Antijudaismus“ eine kritisierbare Haltung mancher Christen, unterscheidet diesen aber scharf vom Antisemitismus und Rassismus, der, nach Ansicht der Verfasser, die übergroße Schuld an der Judenverfolgung trägt. Die Shoa sei das Werk eines „ganz modernen heidnischen Regimes“, heißt es wörtlich in dem Dokument, und weiter: „Der Antisemitismus dieses Regimes hatte seine Wurzeln außerhalb des Christentums.“

Über die Gründe der Abmilderung von Positionen, die der Papst selbst eingenommen hatte, rätseln die Vatikanologen noch – der Einfluß konservativer Kreise und alter Pius-Adepten scheint wieder zuzunehmen. Besonders unzweideutig fiel gestern das Urteil des israelischen Oberrabbiners Meir Lau aus: Er verlangte eine ausdrückliche Entschuldigung für die „beschämende Haltung“ des damaligen Papstes Pius XII. Die Führung der jüdischen Gemeinden in Rom sieht in dem Dokument „einen deutlichen Rückschritt gegenüber bereits erreicht geglaubten Positionen“ des Vatikans und will daher das Kommissionsergebnis nicht uneingeschränkt als die Haltung von Johannes Paul II. gelten lassen. Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärte, das Dokument sei „in großen Teilen unbefriedigend“. „Wenn der Vatikan dafür 50 Jahre gebraucht hat, dann ist es armselig, was dabei herausgekommen ist“, sagte er. Werner Raith

Tagesthema Seite 3

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